Natürlich gibt es eine jenseitige Welt. Die Frage ist nur: Wie weit ist sie vom Stadtzentrum weg, und wie lange hat sie offen?
Woody Allen
Ich gebe es zu: Ich gehöre zu den Unerleuchteten.
Spiritualität, das sind für mich Yoga-Lehrerinnen und tibetanische Musik, die mich bei der Massage stört.
Mit Religion tue ich mich schon immer schwer. Ich sehe, dass sie viel Gutes bringen kann. Der Funke ist bei mir nur nie übergesprungen.
Meditation habe ich versucht. Das Unglaublichste daran (auch für mein Umfeld) war allerdings die Tatsache, dass ich Zappel-Quasselstrippe anscheinend 20 Minuten schweigend stillsitzen kann.
Abgesehen davon glaube ich nur, was ich sehe. Agnostiker nennt man diese Leute. Und schon das klingt wie eine beunruhigende Diagnose.
Eine klitzekleine Schwäche für Astrologie habe ich. Die geht allerdings nur soweit, dass ich an bestimmte Charaktereigenschaften bei den Sternzeichen glaube und an Plattitüden, die ich mir im Lauf der Jahre angelernt habe (früher standen die auf den Würfelzucker-Packungen. Äh. Nimmt noch jemand Würfelzucker?). Die Beschreibungen gehen ungefähr so: Krebse sind launisch, fürsorglich und kämpfen mit ihrem Gewicht, Zwillinge sind amüsant, ein wenig windig und häufen gern Geld an, Jungfrauen pedantisch, korrekt und knauserig, Steinböcke sind ehrlich, nachtragend und sparsam, Stiere meist genussfreudig und willensschwach, Löwen dagegen durchsetzungsstark und selbstverliebt. So weit, so oberflächlich.
Abgesehen davon? Nada. Leider. Gern wüsste ich, dass es zwischen Himmel und Erde mehr gibt als Trump, Alltag und Klima-Krise. Einen tieferen Zusammenhang, der wirklich befriedigend Antworten auf all die offenen Fragen gibt.
Vielleicht deswegen, vielleicht aber auch aus Neugier - immerhin bin ich Journalistin - trotte ich jedes Jahr auf dem Sommerfestival zum Wahrsager. Der Mann trägt Muskel-Shirt, Glatze und residiert für wenige Wochen in einem windschiefen Zelt, meist bewacht von einer jungen Assistentin. Vor dem mit Wäscheklammern verschlossenen Eingang steht ein dampfendes Schälchen mit einer duftenden Essenz. Alles hier ruft: Vorsicht, vielleicht ist es nur Hokus-Pokus.
Nichtsdestotrotz war ich mehrmals dort und angenehm überrascht: Der Hell-Seher ist ein Schnell-Seher und liest innerhalb von 15 Minuten die wichtigsten Koordinaten aus Deiner schwitzigen Hand aus. Mit Ösi-Schmäh buchstabiert er Dir Deinen Charakter durch und legt dann einen Satz abgegriffene Tarot-Karten (Tarot gibt es übrigens seit 1500, als Deutungs-System seit 1850) auf die Tischdecke. Das Verblüffende: Verdammt viel davon trifft zu. Kollegen, die dort waren, einmal gar mit TV-Team, um eventuellen unseriösen Methoden auf die Schliche zu kommen, gingen mit einer astreinen Analyse der aktuellen Gesamtsituation nach draußen. Schon klar: Kann man alles glauben, muss man aber nicht.
Knifflig wird's nur, wenn es um die Zukunft geht. Wollen wir wirklich wissen, was demnächst passiert? Wollen wir erfahren, dass uns bald ein Herzinfarkt holt? Oder, ob uns morgen irgendein durchgeknalltes Arschloch ins Gleisbett schubst? Nein, wollen wir natürlich nicht. Das Leben ist ein Geschenk - von wem auch immer. Und es will angenommen und gelebt werden.
Trotzdem finde ich es immer wieder spannend, mal über den Salat-Tellerrand zu schauen, und sei es, um die vermeintlichen Fakten amüsiert zur Seite zu wischen. Ich plädiere für eine humorvolle Skepsis gegenüber diesen Dingen. Es ist wie mit allem, was Menschen so glauben: Überzeugt - gerne, fanatisch - niemals.
Die Chinesen befragen vor wichtigen Geschäftsabschlüssen immer ihre Astrologen, um die beste Sternen-Bilder fürs Business abzupassen. Gute Planeten-Konstellation = gute Kohle. Ja mei, warum auch nicht?
Gestern wollte ich mich übrigens mit dem Tarot-Mann verabreden, um ein Interview für diesen BLOG zu führen. Ich staute mich nach Feierabend eine Stunde lang aufs Land, wo sein Zelt sich schief zwischen Steckerl-Fisch-Stände und Bierzelte schmiegte. Ich wartete. 60, dann 90 Minuten. Ungeduld hatte er mir beim letzten Mal bescheinigt, damit lag er goldrichtig. Unzuverlässigkeit hätte ICH ihm jetzt im Gegenzug zugeschrieben, und dafür hätte ich noch nicht mal seine Hand gebraucht.
Er hätte mir wohl das Verkehrschaos auf der Rückfahrt vorausgesagt und miese Laune am Abend.
Besser, dass ich's nicht wusste.
allerdings nur: Anna sitzt schweigend 20 Minuten still. Darüberhinaus hatte ich keinerlei Erleuchtung.