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AutorenbildAnna Gelbert

Rente in Italien? Si, certo!

Aktualisiert: 15. Juni 2023


Ich bin 50. Mein Berufsleben steht Kopf. Meine Branche stirbt. Zeit, sich Gedanken um morgen und übermorgen zu machen. Wie wird das sein? Keine Ahnung. Wo wird das sein? HIER NICHT. Ich will raus, ich will ans Meer. Den Drang aufs Land zu ziehen - der Kinder wegen - hatte ich früher nie. Ich komme aus einer Kleinstadt in Baden-Württemberg, in der ich mir jeden Tag wünschte, eine Armada an Reisebussen würde endlich mal 2000 Leute in die leeren Kopfsteinpflastergässchen ausgießen.


Ich dachte, mein Bedarf an Beschaulichkeit sei für alle Zeiten gedeckt. Das ändert sich jetzt gerade. Ich will meinen Lebens-Aperitif in Italien verbringen. Und zwar in einem Dorf. La Pensione – das klingt auch gleich schicker als Rente, findet Ihr nicht? Das klingt nach Macchiato auf dem Dorfplatz, würzigen Tomaten vom Wochenmarkt und lauen Abenden an der Strandpromenade. Rente, das sind eher Kurzärmelwesten, Kurzhaarfrisuren und Kurzreisen im Bus.


Ich komme gerade aus Italien zurück und habe dieses Gefühl, das alle Heimkehrer haben: Ach, wenn ich nur dort leben könnte! Abgedroschen, ich weiß. Aber in meinem Kopf nimmt das Ganze langsam Gestalt an. Lange war ich durch mit dem Stiefel-Land: Ich kenne Mailand, Rom, Florenz, Sardinien, Neapel, Capri, Verona, Venedig, Pisa, Mantua, Cinque Terre, Garda-, und Comer See, Modena, die Toskana, Kalabrien und Südtirol. Ich habe Romanistik studiert und neben Französisch sogar ein bisschen Italienisch gelernt. Ich war zahllose Male beruflich und privat in Italien. Irgendwann schien es auserzählt. Und vielleicht liegt das an diesen Herrschaften:


In München musste ich plötzlich sehen, dass in der angeblich nördlichsten Stadt Italiens (sie ist alles andere als das, glaubt mir) ALLE große Italienkenner und Liebhaber sind. Jeder hier spricht leidlich gutes Osteria-isch um bei Francesco nach der Pfeffermühle zu fragen. Und der hat wiederum ein großes Herz für solvente Unternehmensberater mit Dolce-Vita-Fetisch. Insgeheim verachtet er sie, denn sie können wegen einer falschen Matratze im Hotel ausrasten, tun aber so, als seien sie ausgewiesene Mozzarella-Connaisseurs.


Seit ich mit einem Italophilen liiert bin (er spricht die Sprache fließend und hat drei Jahre in Florenz gelebt), hat es mich wieder, dieses chaotische, stolze Land. Ich will da hin. Die Menschen werden hinterm Brenner anders. Sie mosern plötzlich nicht mehr in der Schlange der Caffé-Bar (plötzlich heißt sie auch viel lässiger), zählen ihr Wechselgeld nicht mehr nach und lassen anderen den Vortritt. Es scheint, als wären IT-Achim und Marketing-Jule hier nicht mehr die, die Mittwochabend zum Yoga hetzen und im Team-Building-Workshop den Leadership-Larry machen.


Hier geht es plötzlich um die drei Dinge, die am Ende im Leben wichtig sind: Sonne, Essen und Liebe. Uns allen dämmert spätestens am Autogrill Paganella Ovest: Mein Gott, es könnte ja alles so einfach sein! Was, wenn das Leben, das wir hier führen, mit 2000 Euro Miete, 20 Versicherungen und 20 000 Stressmomenten, einfach eines Tages das falsche ist? Wenn es irgendwann einfach Zeit ist, zu sagen: Ciao, ich bin dann mal unterm Zitronenbaum?


In einem Dörfchen in Ligurien, 500 Menschen, drei Strandbars, eine Piazza, eine Bank, eine Post, zwei Kirchlein, will ich meine Lebens-Happy-Hour verbringen. Ich will – so wie mittlerweile eine Viertelmillion Deutsche, Tendenz steigend – jeden Tag aufs Meer sehen, einfach und gut essen und meine eigene blaue Zone der Über-100-jährigen errichten. Ich will mit den Alten auf dem Dorfplatz den ersten Cappuccino trinken, die Müllmänner mit Namen grüßen und zuschauen, wie die beiden einzigen Alimentari-Läden um die wenigen Kunden kämpfen. Ich will auf dem Wochenmarkt Gemüse und Honig aus den Bergen kaufen und einmal im Monat meinen Rentenbescheid aus Deutschland bekommen (vom Postboten, den ich kenne - eh kloar).


Klinge ich wie eine ZDF-Sonntagabend-Schmonzette? Ziemlich sicher ja. Ziemlich sicher gibt’s auch Regentage, Heimweh und Langeweile. Aber dann scheint wieder die Sonne. Und sie scheint öfter als hier. Mein Handy ist übrigens ganz rührend in seinen Abhörversuchen: Seit ich an diesem Post sitze, bekomme ich über Instagram Werbung für Auswanderer-Krankenversicherungen. Lasst mal, ist noch paar Jahre hin! Aber schwelgen kann ich jetzt schon.


Meine Zukunftsträume sind in Futur 2: Ich möchte eines Tages 30 schöne Jahre in München verbracht haben, meine Kinder werden hier sicher und wohlbehütet aufgewachsen sein, ich werde genug Kultur und Verabredungen gehabt haben. Ich will eine ledrige Nonna sein, die sich jeden Tag lächelnd ein Cornetto mit 400 Kalorien ins Gebiss drückt und dann nochmal Lippenstift nachlegt. Ich will nicht in einer Stadt bleiben, in der ich nach 40 Jahren Arbeit nicht mal eine Miete zahlen könnte. Ich will mir keine Klamotten mehr kaufen, die ich dann doch nur im Büro trage.


Noch bin ich Hotel Mama mit 5-Sterne-All-Inclusive: Fressen und Saufen sind umsonst, um 11 ist Animation am Pool, und Du darfst den ganzen Tag das Personal anschnauzen. Aber in 15, 20 Jahren, da packe ich zwei bis sieben Koffer und tuckere ins Licht. Und bis dahin? Lerne ich die Sprache besser und schaue mir so viel wie möglich an. Für den Sommer haben wir Apulien gebucht. Natürlich ist der Absatz dieses glamourösen Landes ein High Heel - da muss ich hin. Basta.





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