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AutorenbildAnna Gelbert

Das erste Mal USA nach 25 Jahren

Natürlich schreibe ich diesen Post nachts - der Jetlag kickt. Das klingt schicker, als es ist. Es klingt nach Langstreckenflug und Sommerbräune, nach Menschen, die nach wenigen Wochen in Amerika so tun, als haben sie ihre Muttersprache verlernt. Aber Jetlag ist nicht schick. Er ist schlicht nervig. Ich habe Erfahrung mit durchwachten Nächten und weiß: Es nützt nichts, zu lesen, zu meditieren, zu grübeln. Es hilft nur: Aufstehen und irgendwas tun.


Und das mache ich. Ich schreibe auf, was drei Wochen Kalifornien mit mir gemacht haben. Das klingt provinziell in Zeiten, in denen alle mal eben für ein Meeting, einen Dreh oder eine Weintour rüberfliegen. Aber nicht alle haben einen BLOG und können ihre Eindrücke teilen. Für mich war dieser Besuch besonders. And here's why:


Ich kannte New York, Boston, Baltimore, Miami, die Everglades, Los Angeles und San Diego, ich war nebenan in Kanada - und dann 25 Jahre nicht mehr jenseits des Atlantik. Dafür gibt's mehrere Gründe. Erstmal ließ mich das Land nicht rein. Als meine TV-Kollegen in den Jahren nach 9/11 glücklich nach Los Angeles abhoben, um von den Oscars zu berichten, da bekam ich Probleme, weil in meinem Pass der Geburtsort Bagdad steht. Richtig, Bagdad. Nicht Backnang. Bagdad. Das mit dem Schnauzer, der Hitze und dem Krieg.


Und dann war da meine Flugangst. Dank eines Seminars und guter Ablenkung schaffte ich es, ohne Hilfsmittel meinen Endgegner - einen Transatlantikflug - zu besiegen. Beim Start hielt ich die Hand meines Freundes und die meines Sohnes und weinte Freudentränen. So unbedingt wollte ich dorthin, meinen Kindern diese abgefahrene, fremde Welt zeigen.

Die Anstrengung hat sich gelohnt. Alles war anders als unsere sonstigen Pasta-Espresso-Bagno-Urlaube - und doch irrsinnig gut. Hier meine Erkenntnisse, von denen einige für Euch vielleicht nicht überraschend kommen. Andere dagegen schon:


Amerika ist immer noch ein Autoland. Die Karren sind billig, ein Volltank kostet 40 Dollar, die Highways mit bis zu zehn Spuren und vogelwilden Regeln werfen die Frage auf, warum deutsche Autobahnen als Mekka für Raser gelten. Ich bin keine ängstliche Fahrerin, aber eine Stunde im Spurenlabyrinth vor Los Angeles bringt Dich an den Rand einer Sinnkrise. Habe ich Deutschland vermisst? Kaum. Aber mein Fahrrad, die Fußwege, die U-Bahnen, die schon.


Apropos: Los Angeles ist ein Nervenzusammenbruch unter Palmen. Hundert Städte in einer, überall Junkies und Obdachlose, dazwischen die schönsten Häuser, die nettesten Viertel, ein Flirren über der Stadt, das aller Hässlichkeit trotzt. Wer das packt, den wird auch die Stadt packen. Wer das nicht packt, der packt schnell wieder und fährt weiter, denn Kalifornien hat so viel mehr zu bieten.


Nur kein gutes Essen. Wir haben (bis auf die arabischen Leckereien im Haus meiner Familie) nicht EIN gutes Gericht in drei Wochen genossen. Brot, Kaffee (vergesst die Plastikeimer-Plörre dieser großen Kette), Gemüse - alles Schrott. Immer zu viel, noch ne Schokosauce, ein Klecks Eis auf die Pancakes, noch ein Mayofeuerwerk auf dem Chipotle-Sandwich und Tacos, Tacos, Tacos. Tatsächlich haben wir nur ein einziges Mal (das wirklich günstige) Fastfood gekostet. Reicht. Ansonsten ist Amerika kulinarisch immer noch das Land der begrenzten Möglichkeiten. Heute gibt's hier Pellkartoffeln mit Quark.


Dafür schießen die Farmers Markets überall aus den Großstadtböden. Während sich der Kohlehydrate-Plebs bei Costco und Walmart mit XXXXL-Packungen eindeckt, wird gute Ernährung offenbar immer mehr eine Sache der Wohlhabenden. Wer sich auf dem Open Air Market, zwischen Lüneburg und Landshut known as Wochenmarkt - ein Sourdough-Pastrami-Sandwich und organischen Thymian-Honig und frische, nicht eingeschweißte Tomaten leisten kann, ist fein raus und hat gute Chancen, normalgewichtig und mit freien Blutgefäßen über die Ziellinie zu joggen. Auf den Bauernmärkten wird auch mal ein sehr seltenes Exemplar der guten Küche gesichtet: Kopfsalat.


Die einen bleiben schlank, die anderen werden krank: Und für die gibt's endlose Reihen bunter Pillen im Supermarkt in Griffweite. Die Medikamentengeilheit kennt offenbar keine Grenzen in Amerika. Im nächsten Leben werde ich dort Pharma-Managerin. Der Anteil der Adipösen stieg übrigens von 1990 bis 2022 bei den Frauen von 21,2 auf 43,8 Prozent, bei den Männern ist es nur unwesentlich weniger. Mich wundert das nicht: Schlechtes Essen ist zu billig, gutes fast unbezahlbar (von der absurden Trinkgeld-Policy in Restaurants fange ich gar nicht erst an).


Das ganze Land scheint übrigens breit. Gras ist in vielen Bundesstaaten legal, und in Weedshops staunen selbst langjährige Kiffer (ich nicht) über die Stärke der Produkte und die blonden, pilatesgestählten Karens, die sich Edibles wie Gummibärchen und Cannabis-Limo noch auf dem Parkplatz hinter getönten SUV-Scheiben reindonnern, um dann mit Pupillen wie die Schlange Kaa über die Stadtautobahn zu brettern. Aber am Strand ist Alkohol verboten. Kannste Dir nicht ausdenken.


Was geblieben ist: Die Freundlichkeit. Die herrliche Oberflächlichkeit. Das Wohlwollen. Nicht alles wie ein Alman zerdenken, polemisieren, immer misstrauisch auf der Hut sein. Menschen, die mit einem Cybertruck und Trump-Flagge rumfahren (und das sind viele) lassen andere Menschen in Ruhe, die auf Kamala setzen. So what? Davon wünsche ich mir mehr bei uns. Mach halt, mir doch wurscht! Zumindest in Kalifornien (wo auch ein ideologischer San Andreas Graben zwischen Wokies und Konservativen klafft), scheint die Sonne, wird gearbeitet und danach entspannt, hier trifft man sich mit Familie und Freunden zum Strand-Picknick, mit endlosen Reihen von Profi-Kühlboxen, alarmierend viel Einwegplastik, Sonnenzelten und Campingstühlen. Man shoppt in einer der hervorragend organisierten Malls mit kostenlosen Parkplätzen und tollen Food Courts. Das Leben kann so leicht sein, wenn man den Stock aus dem Allerwertesten nimmt.


Für den nächsten Besuch lasse ich mir nicht mehr 25 Jahre Zeit. Es ist spektakulär, bunt, aufregend, immer am Limit und doch tiefenentspannt. America, I like you.


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