
1) Bei mir herrscht Nachrichten-Detox. Düstere Aussichten und Angst brauche ich gerade nicht.
2) Laufen trägt mich durch die Krise. Jeden Morgen um 6:30 (heute ist Tag 40) radle ich schlaftrunken in den Park. Eine Dreiviertelstunde Schnaufen und Traben, bevor sich die Familien und Slackliner in die Grünanlagen ergießen. Klar, wo sollen sie auch sonst hin? Ein paar Grüße nach rechts und links. Man kennt sich. Der Dicke mit seinem wulstigen Hund ist da, der Büro-Typ, der hier imaginäre Golf-Abschläge übt und die Seniorin mit den Walking-Stöcken. Klack, Klack, Glück . Oft fluche ich über meine Disziplin. Aber immer wieder stellt es sich zuverlässig ein: Das wunderbare Gefühl, Kraft für Herz, Lunge und Seele zu tanken - beschienen von der Morgensonne.
3) Überhaupt, Sonne. Ich liebe Dich wirklich und so. Aber das mit uns beiden ist mir manchmal zu eng. Ich bräuchte in diesen endlosen, goldgelben Frühlingstagen voller Blütenpollen und Sahara-Sand auf den Autos eine klitzekleine Pause, um Dich danach wieder richtig zu genießen. Nimm's mir nicht übel, das ist in langen Beziehungen so. Meine Wetter-App sagt: Ab Dienstag vier Tage Regen. Auch mal schön. Kuchenbacken und Kinderkuscheln vor der Glotze. Zuletzt musste ich die Kleinen fast zum Fernsehen zwingen, so viel waren sie draußen.
4) Ach ja, alle scheinen draußen zu sein. Die Leute holen sich ihr Leben zurück. Gestern abend auf dem Platz vor einer Schwabinger Kirche: Mehr als 100 Leute in der Abendsonne (da isse wieder), einträchtig an Eiswaffeln leckend, Pizza-Kartons auf den Knien balancierend. Zwei Polizei-Mannschaftswagen fahren vorbei und winken freundlich. Zwischen den Sitzern, ein paar Pfand-Sammler, die sich an den Bierflaschen-Kränzen rund um die mit Take-Away-Verpackungen vollgestopften Mülltonnen erfreuen. Wieder einsammeln und morgen zum Leergut-Automaten tragen? Macht hier keiner. Nicht aus Hochmut, sondern aus einer dunklen Vorahnung: Lass sie doch was verdienen, die armen Teufel. Wer weiß, wie schnell wir plötzlich dazugehören können.
5) Die Wiesn ist abgesagt.
6) Die Ferien werden hoffentlich auch abgesagt - oder verkürzt. Das Letzte, was wir alle brauchen, sind nochmal 2 (in Bayern) und dann 6 Wochen, in denen nichts vorwärtsgeht. Das Homeschooling läuft halbwegs. Die Lehrer sind mittlerweile reine Mail-Phantome ohne jedes Bedrohungs-Potential. Frau Weber will eine Korrektur der letzten eingereichten Hausaufgabe? Nee, echt nicht.
7) Rausfahren ist das neue Drinbleiben. Selbst die schönste Villa mit Pool nützt Dir nichts, wenn Du Tapetenwechsel brauchst. Okay, Zweitwohnsitze ausgenommen. Ich habe weder noch, aber unbändige Lust auf die Berge. Also immer öfter rein ins Auto und raus aufs Land, an die Seen, in die Natur. Die Kinder schöpfen Hoffnung, vielleicht wird unser Radius doch mal wieder weiter? Niemand daddelt im Auto, alle schauen bewegt und staunend auf endlose Wiesn und glitzerndes Wasser. Ach ja, so schön und weit war die Welt mal. Wird sie wieder, Kinder. Glaubt's mir.
8) Die Pandemie gibt allen recht, die in ihrer Comfort-Zone sitzengeblieben sind: Öde Jobs, dysfunktionale Beziehungen - Aussitzen zahlt sich jetzt aus. Denn, während Solo-Selbständige sich bis zur Wahnsinns-Grenze durch Ämter fragen und Schuhkartons voller Nachweise herumschicken (da kommen noch Rückfragen und Nachzahlungen), während Neu-Singles jetzt einsamer denn je sind, triumphieren all diejenigen, die den entscheidenden Move eben nicht gemacht haben. Endlich ein Start-up gründen, endlich die Alte verlassen? Alles aufgeschoben. Lieber auf Sicherheit setzen. Da weiß man, was man hat. Guten Abend.
9) Oder ist es nicht vielmehr so: Diese Krise presst jetzt alles kompakt zusammen. Danach wird aufgeschüttelt und neu sortiert. In jeder Hinsicht. Das chinesische Horoskop sagt, 2020 sei das Jahr der Ratte (dazu gehören auch alle 1972 Geborenen wie ich). Die Ratte schafft sich Vorräte an, sie sorgt für ihresgleichen und ist ein Kämpfer. Sie passt sich selbst härtesten Gegebenheiten an - und überlebt so in großer Zahl.
Ich wünsche Euch allen eine erkenntnisreiche Woche.