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  • AutorenbildAnna Gelbert

Das Gymi, der Stress und ich - Warum Job und Schulkind unvereinbar sind


Seit kurzem bin ich Klassen-Eltern-Sprecherin. Ich habe mich in einer dramatischen Stichwahl gegen NIEMANDEN durchgesetzt. Warum ich mich als Einzige angeboten habe? Es gab einfach keine Ausrede, nachdem ich sieben Jahre lang bei der Frage "Wer macht's?" angestrengt unter dem Tisch nach Anzeichen für extraterrestrisches Leben gesucht habe und erst wieder aufgetaucht bin, als zwei Un-Freiwillige gefunden waren. Jetzt bin ich die Un-Freiwillige. Nicht missverstehen: Ich bringe mich gerne ins Schulleben meiner Kinder ein - in gesundem Maß.

Ich weiß aber: Eine normale Schullaufbahn in Deutschland 2019 ist ohne uns Eltern nicht mehr zu stemmen.

Wenn alle längst glauben, die Kids seien aus dem Gröbsten raus, mit 10 oder 11, kannst Du als Mutter aufhören zu arbeiten. Dass Du es bis hierhin geschafft hast (Übertritt, tja, das waren noch Mickey-Maus-Sorgen), ist nur eisenharter Organisation zu verdanken. Aber jetzt ist Schluss. Jetzt musst Du als Mutter (oder Vater) noch einen zweiten Teilzeitjob als Hausaufgaben-Betreuerin, Vokabel-Abfragerin, Bunsenbrenner-unter-den-Po-Halterin, Abgabetermine-Anmahnerin, Lerngruppen-Zahlerin und Gespräche-Mit-Lehrern-Führerin übernehmen.

Job und Familie? Krieg ich locker gewuppt. Job und Schul-Kinder? Nicht ganz so locker.

Millionen Mütter landen in der Teilzeit-Falle, weil sie ein schwaches Bildungssystem abpuffern müssen.

Ich kenne Dutzende top ausgebildete Frauen, die bis zum Abitur ihrer Kinder keinen richtigen Job annehmen können.

In den ersten Jahren ist in den meisten Familien klar: Er arbeitet bald wieder Vollzeit, sie bleibt bei Teilzeit. Das kostet sie zwar Rentenansprüche und Karriere-Chancen, die sie sich beim Scheidungskrieg teuer wieder zurückholen kann, wenn sie die Nerven hat. Aber der Deal ist: Einer muss ja da sein. Das Kind soll liebevoll und zugewandt beim Aufwachsen begleitet werden. So weit, so gut gemeint.

Aus der schönen Grund-Idee wird aber irgendwann eine Notwendigkeit. Dann nämlich, wenn das Bildungssystem und seine Mängel mit voller Wucht zuschlagen. Jetzt wird plötzlich klar, dass der Lehrstoff keineswegs in dem dafür vorgesehenen Zeitrahmen vermittelt wird. Dass das Schuljahr sich nur in den kurzen, intensiven Phasen zwischen den Ferien abspielt.

Dazwischen bleibt den immer weniger werdenden Lehrkräften immer weniger Zeit, um den Plan einzuhalten. Viele schaffen das, manche gehen unter – und mit ihnen die Kinder, die auch immer weniger einzusehen scheinen, dass sie abliefern müssen. Es gibt also eine Schüler-Betreuungs- und Motivations-Lücke. Und wer schließt die?

Mütter. Und einige Väter. Schleichend haben wir Eltern die Mit-Ausbildung übernommen. Organisieren und bezahlen Lerngruppen, Mathe-Nachhilfe, Englisch-Feriencamps. Bestens ausgebildete Akademikerinnen sitzen mittags mit frisch gekochtem Essen daheim, damit sie nachmittags Teenagern bei den Hausaufgaben assistieren, die sie schon um einen Kopf überragen. Das Zeug muss in die Hirne, Mittwoch schreiben wir Deutsch.

Schul-Alltag ist Eltern-Sache geworden. Erziehung wird dafür immer mehr Lehrer-Sache. Überforderte Eltern hoffen vielerorts, dass Herr Müller und Frau Meier ihnen die unangenehme Aufgabe abnehmen, Regeln aufzusetzen. Schulen wiederum verlassen sich immer mehr darauf, dass ehrgeizige Eltern die Wissenslücken ihrer Kinder selbst erkennen und schließen. Das kostet uns alle Lebenszeit, Nerven und viel Geld. Von der unbezahlten Care-Arbeit ganz zu schweigen, die Mütter investieren, wenn sie nach einem randvollen Arbeitstag Star-Wars-Torten zum Advents-Bazar beisteuern.

Ich sehe viele brillante, motivierte Lehrer. Ich sehe Frauen, die Job und Kinder gut unter einen Hut bekommen - um dann am Schulsystem zu verzweifeln. Und ich sehe einen reichen Staat, der sein Bildungssystem in runtergeranzten Gebäuden und mit immer absurderen Vorgaben aushungert.

Meine Freundin ist Rektorin an einer Grundschule. Unter den Neueinstellungen fürs Schuljahr sind Quereinsteiger: Eine Friseurin, ein Florist und ein Fliesenleger. Es scheint, als könne jeder unsere Kinder unterrichten. Mir erscheint es immer mehr so, als könne auch jeder bessere Bildungspolitik machen.

Wie lange das Eltern-Extra-Einsatzkommando dauert? Bis zum bitteren Ende, wenn die Sprösslinge mit einem leidlich guten Notendurchschnitt auf der Schiene sind, Abschluss-Reden, Zukunftspläne. Moment mal, das ist MEIN Abi, das Du da gerade feierst!?

Ich kann mich in meinen neun Jahren Gymnasium bis auf wenige Mathe-Nachhilfe-Stunden an keinen nennenswerten Lern-Support erinnern. Schule war mein Job. Basta.

Wie man da rauskommt? Entweder zieht man sich als Eltern früh aus der Mit-Verantwortung und stellt die Hilfe ab der Grundschule zugunsten einer liebevollen Begleitung über die Außenbande ein. Oder man tappt wie die meisten von uns in die „Wir erledigen auch Euren Job noch gerne mit“-Falle und stellt sein Berufsleben zurück, um freiwillig noch einmal Nibelungen und Subjonctif zu lernen.

Rückzug scheint allerdings keine Option, denn jeder verkackte Vokabeltest fällt gnadenlos auf uns Eltern zurück. Einmal sagte eine Nachbarin völlig ungerührt: „Let’s face it: Weiter kommen nur die Schüler, bei denen die Eltern hinterher sind. Der IQ? Völlig egal.“

Als Klassen-Eltern-Sprecherin habe ich übrigens ähnliche Aufgaben wie daheim mit meinen Kindern: Ich sorge dafür, dass alle wissen, was wann zu tun ist und vermittle bei Streit, ich lasse mich für Dinge anpampen, die ich nicht verbrochen habe und mache für andere die Arbeit. Ab und zu gibt es ein Fest, zu dessen Gelingen ich kulinarisch und organisatorisch beitrage. Mach ich gern. Hab ja sonst nichts zu tun.

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