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  • AutorenbildAnna Gelbert

Tarantino kann mich mal

Aktualisiert: 24. Feb. 2023


Als Kind habe ich meine Oma belächelt, die bei uns im Haus lebte.

Warum? Draußen tobte ein abgeschmackter Golfkrieg, der Wald verreckte und irre Groß-Machthaber mit kleinen Gemächten bedrohten sich ständig gegenseitig mit irgendetwas. Also alles wie heute.

Bekam meine Oma das alles mit? Durchaus. Sie sah die Nachrichten und diskutierte das Weltgeschehen mit uns.

Aber nach der Tagesschau glitt die Frau, die zwei Weltkriege überlebt hatte, in eine schönere Welt: Mit einem Teller Leberwurst-Schnittchen und einer Tüte Karamellbonbons verschmolz sie mit der Glotze, tauchte ab vor die Küste Cornwalls oder auf ein Kreuzfahrtschiff. Geföhnte Ärzte mit Fake-Tan, ungeföhnte Familienhelferinnen, joviale Kapitäne und anmutig-verzweifelte Tierärztinnen lösten ihre Probleme in 90 Minuten, Abspann, Glücks-Seufzer, Tschüss.

Danach blätterte Großmutter noch eine Weile in Romanen, in denen es im Wesentlichen um Handlungen aus diesem Banal-Baukasten-System ging: Gestresste Städterin/überforderte Mutter/verlassene Ehefrau macht eine unerwartete Erbschaft/findet auf dem Dachboden alte Briefe, die auf eine rätselhafte Liebesgeschichte ihrer Großmutter hinweisen/muss eine abgeranzte Bäckerei auf Guernsey übernehmen. Daraufhin verliebt sie sich in den smarten Aussteiger-Tierarzt/den zunächst abweisenden Alleinerben/versehentlich in ihren eigenen Cousin, der sich später aber als nicht verwandt herausstellt. Dazwischen gibt es ein paar Irrungen und Wirrungen, gerade aufregend genug, um trotzdem noch selig zu schlummern. Gute Nacht. Golfkrieg ist morgen auch noch.

Ich war fassungslos. Zog mir als Studentin Schock-Dokus im Programmkino rein, empörte mich mit Kommilitonen über dies und jenes. Wir feierten Tarantino und sein Geballere. Endlich mal einer, der die harte Realität überspitzt und übercoloriert mit geiler Musik auf die Leinwand bringt. Wenn Happy End, dann mit ironischer Brechung und gerne mal mit drei möglichen Schluss-Szenen.

ES und Tarantino können mir heute mal den Haaransatz shamponieren. Den 3-Stunden-Marathon spar ich mir, trotz Brad und Leo. Ich liebe Kino, aber ich hasse verstörenden Kram. Wozu Geld bezahlen, um nachher aufgewühlt in irgendeinen Hinterhof zu stolpern? Noch auf nen Absacker gehen, sich gegenseitig mit Cineasten-Wissen battlen und spätnachts mit Bildern im Kopf wachliegen?

4 Blocks, Dark, Narcos - auf Netflix geht das Grauen weiter. Bandenkriege, Folter und dunkle Mächte? Bin ich durch mit, brauch ich nicht.

Tatort? Sehe ich einmal im Jahr – schon gar nicht im Doppelpack mit einem völlig deprimierenden Anschluss-Talk mit Themen wie "Sind wir bald alle krebskrank und dann tot?".

Im Buchladen lasse ich die Thriller liegen, in denen Leichen gehäutet und gefesselt auf Stühlen gefunden werden, und selbst hartgesottene Kommissare noch nie so etwas Entsetzliches gesehen haben.

Gerade lese ich die Vernon-Subutex-Trilogie der Französin Virginie Despentes. Der Inhalt: Ein Pariser Plattenverkäufer wird obdachlos. Erst wollte ich die trostlosen Bände wütend ins Altpapier schmettern. Dann blieb ich dran. Warum? Erstens, weil sie brilliant geschrieben sind. Zweitens, weil ich Cleverle die letzte Seite aufgeschlagen - und dort so etwas wie ein Happy End gefunden habe.

Auf's Leben runtergebrochen heißt das: Angst und Sorgen sind leichter zu ertragen, wenn mit 90 garantiert das Happy End wartet - oder eben die nächste Staffel. Ich muss los, ich muss wissen, wie Downton Abbey ausgeht. Ach, irgendwie ahne ich es schon. Herrlich.

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