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  • AutorenbildAnna Gelbert

Erkältung im Endstadium - wie man mit Hypochondern umgeht


Warum ich so lange abgetaucht war? Ich hatte - lustigerweise in meiner Urlaubswoche, haha - einen Infekt. Nicht irgendeinen Infekt: Es fing ganz harmlos mit einem Schnupfen an, wanderte dann heimtückisch in Richtung Nebenhöhlen und Ohren, um sich anschließend genüsslich in meinem gesamten Brustraum - und der ist groß - und meinem Kopf auszubreiten. Kurz, bevor ich den Verdacht auf eine Herzmuskelentzündung schöpfte, ging ich zum Arzt.

Ich war sicher: Das ist mein Ende. Ausgerechnet ich krepiere so poplig. Ich lebe seit 33 Jahren vegan, treibe Ausdauersport, schlafe fast jeden Abend um 21 Uhr, rauche nicht und trinke äußerst maßvoll. Ich hatte mir mein Ende immer so Udo-Jürgens-mäßig vorgestellt: Geiles Leben, Spaziergang mit 80, Herzstillstand, merci Chérie. Stattdessen: Gespenstischer Wandervirus und Atemstillstand über der Eukalyptus-Inhalier-Schüssel nach unklaren und langwierigen Mümümü-Beschwerden.

Ich war sicher, hinter diesen Symptomen steckt eine große Verschwörung, ich musste sie nur vor dem Auschecken aufdecken. Alle steckten da mit drin, die Viren-Unterwelt, der Hormon-Hades, der Mossad. Aber bliebe mir noch genug Zeit? War der Husten nicht schlimmer geworden, kam da nicht schon Blut? Tat mir nicht bei jedem Atemzug das Herz weh? Ticktock.

360 Tage im Jahr mache ich mich über Männergrippe lustig, über Weicheier, die mit einem Schnupfen zwei Wochen flach liegen, über Leute, die ständig Magen-Darm, Allergien oder irgendwas mit den Zähnen haben. 5 Tage im Jahr habe ich etwas. Und dann wähne ich mich immer mit einem Fuß in der Aussegnungshalle. Ich schwöre hiermit: Das lasse ich ab sofort.

Mein Umfeld: Reagiert angesichts meines Infekts über die Maßen verständnisvoll, so, als wolle es sagen: Schau her, so geht man mit kranken Mitmenschen um. Freundlich fragen alle: "Brauchst Du was?", "Du Arme, das ist ätzend", "Pass auf Dich auf, sowas kann ganz übel ausgehen." Demütigung durch Fürsorge. Ich hab`s verstanden.

Zum Glück bin ich nicht öfter krank, denn ich bin vermutlich die größte Hypochonder-Nervensäge auf diesem Planeten.

Zu Ärzten habe ich ein schweriges Verhältnis. Auf Facebook würde ich diesen Beziehungsstatus mit "es ist kompliziert" umschreiben. Es ist eine Mischung aus Misstrauen und Ergebenheit. Ich bin nicht oft beim Arzt, meine Krankenkasse liebt mich vermutlich ob meiner meist stählernen Gesundheit. Aber WENN, dann bin ich jedes Mal sicher: Jetzt sterbe ich.

Kurze Erklärung für alle beneidenswert gutgläubigen Menschen, die glauben, geschwollene Lymphknoten seien nur auf eine Erkältung zurückzuführen - und nicht etwa auf Morbus Hodgkin: Wenn Du ein Hypochonder bist, verbringst Du einen Großteil der Zeit damit, Krankheiten abzuwehren. Mit einem gesunden Lebensstil stärkst Du Dein Immunsystem. Motto: Wer ohne Probleme einen Kilometer schwimmen kann, der hat nix. Als Hypochonder bist Du aber auch immer auf der Hut. Natürlich googelst Du alle Symptome und stellst eigene Diagnosen. Die Ärzte haben statistisch gesehen nur sieben MInuten Zeit pro Patient. Klar, dass da eine beginnende Herzschwäche gerne mal untergeht.

Hier die Auflistung all der Krankheiten, die ich mir schon eingebildet habe mitsamt Auflösung (so wars wirklich): Embolie (Beinschmerzen), Herzinfarkt (nachts verlegen), Kehlkopftumor (zu viel gequatscht), Bauchspeicheldrüsenkrebs (Verdauung), Bluthochdruck (Stress).

Zusammenfassend könnte ich sagen: Ich habe selten etwas. Aber wenn, dann bin ich a pain in the ass.

Wie man mit unsereins umgeht? Hier kommt die Gebrauchsanweisung: Wenn Du mit einem Hypochonder lebst, nimm sein Gejammer ernst - und leite ihn direkt an Ärzte weiter. Da auch er sein Leiden schnell abklären will, hast Du in spätestens zwei Tagen Gewissheit. Auch wenn Du von vornherein weisst, dass es auch dieses Mal wieder nichts Ernstes ist, tu so, als kämst auch Du ob dieser wirklich üblen Symptome ins Grübeln. Und um Gottes willen nicht lachen. Niemals lachen.

Ein alter Freund, auch er ein Hypo, rief eines Tags seinen befreundeten Hausarzt an. Die Angst vor einem Mundhöhlenkarzinom trieb ihn um. "Du, ich hab seit Tagen so unklare Halsschmerzen", jammerte er am Telefon.

"Ich auch", sagte der Arzt - und legte auf.

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