Porca Miseria, wir lieben die Italiener. Aber ich glaube, sie lachen über uns. Schau uns an, wie wir Freitag Abend losstapfen, "Schatz, lass uns doch einfach zu Luigi gehen", auf ne schnelle Nudel.
Die Amis haben Sport, die Franzosen Affären - die Deutschen haben Lieblings-Italiener. Jeder, der etwas auf sich hält, hat eine heiße Amore mit einem Paolo, Aurelio oder Marco am Laufen. Und die geht nicht durch den Magen, sondern direkt durch den Geldbeutel.
Klar, der hippe Asian-Tempel ist auch köstlich, aber immer nur Pho und Sommerrolle? Dann lieber ein Teller Pasta, wärmt auch die Seele.
Also rein da, die rotweiß karierten Tischdecken suggerieren: Vergiss Deine dämliche Keto-Diät mal einen Abend und schlemme (es würd halt ein bisschen was kosten).
Der Chef begrüßt Dich mit einer so vertraulichen Umarmung, als hättet Ihr zusammen in Afghanistan gekämpft. Du bist geschmeichelt, alle sehen: Stammgast. Der robuste Körperkontakt erfüllt mehrere Zwecke: Frauen werden zärtlich an Busen, Po und Schambein abgetastet, Männer unauffällig nach Waffen durchsucht, man weiß ja nie. Certo, wir sind ja nicht hier, um irgendwelche mafiösen Rechnungen zu begleichen. Wir kommen einfach, um uns verarschen zu lassen. Es tut halt so gut.
"Ciao Bella, ciao Bello", raunt er verschwörerisch (es klingt, als seien wir erst letzte Woche zu dritt versackt). "Isch habe für Euch Speziale, come se dice, Spaghetti Vongole (was heißt Mindesthaltbarkeitsdatum auf Italienisch?) und danne eine wunderbare Branzino mit Taggiasche-Oliven." Er schaut uns an, als wolle er uns beide heiraten, zeitgleich streift er uns unauffällig die Jacken ab. Bevor wir antworten können, sitzen wir vor einer Reihe Parmaschinken auf Korbstühlen, eine Flasche San Pellegrino vor der Nase. Bestellen ist überflüssig. Er bringt ohnehin, was weg muss - und das mit einem Charme, dass Du nur noch "Perfetto" stammeln kannst. Plopp ist die erste Flasche entkorkt, über dem Antipasti-Öl-See taucht drohend eine überdimensionierte Pfeffermühle auf, die größer ist als der Chef selbst.
Warum nur vergöttern wir dieses Volk? Zugegeben, das Land ist irre schön, das Essen spitze, die Menschen attraktiv. Alles andere nehmen wir in Kauf, wie in einer toxischen Beziehung. Denn wir kriegen Dolce Vita dafür. Bebrillte Versicherungs-Nerds fühlen sie sofort, sobald sie ihren Lieblings-Italiener betreten: Diese Leichtigkeit, sobald Dir Laura Pausini entgegenkreischt oder Eros Ramazotti von Frauen singt, die er toll findet, aber nicht kriegt - oder kriegt und bald überhat.
Leute, die sonst unter Verstopfung leiden, werden plötzlich molto locker: "Du, gleich der erste Caffè (schon kurz vor Bozen stellen wir die Rechtschreibung um) hinterm Brenner, also der schmeckt schon ganz anders als Zuhause." Wir sind unbelehrbar. Italien ist toll. Basta.
Die Mutter-Insel aller Abzocker ist übrigens Capri. Nicht erst, seit jeder Hollywood-Promi dort urlaubt, pilgern ALLE auf die Neapel vorgelagerte Insel. Ich: Nie wieder. Denn aufgebläht wie die Zitronen dort sind auch die Preise. 90 Euro für zwei Teller Nudeln und zwei Bier? Wer dort noch aus den gelifteten Augen gucken kann, bei dem entdeckt man kleine, feine Eurosymbole in der Pupille. Samstags explodiert auf der Piazza eine Beauty-Bombe: Butt-Lifts, gerichtete Nasen, glattgezogene Wangen, ein Heer aus schwarzen Lederjacken und perfekten Gesichtern frönt mit schrillen Stimmen der lauten Leere (wow, ich hab gerade einen Julia-Engelmann-Moment). Romantik kann man nicht kaufen? Auf Capri schon. Dieses Feeling suchen auch bei uns immer mehr Leute. Dass seit Jahren jeder ab 10 Grad mit einem Spritz draußen bibbert, geschenkt. Dass wir uns aber von immer mehr Schönlingen mit bodenlanger Schürze die Kreditkarte überdehnen lassen - das geht zu weit. Zumal in den angesagten Scamorza-Spelunken fast kein Italiener IST. Aus dem kroatischen Koch Ivo wird kurzerhand Gino, der Albaner vom Empfang rettet sich mit Volkshochschul-Floskeln vor Fragen beflissener Urlauber: "Siete anche da Puglia? Da waren wir auch letzten Sommer." "Äh, ich bin auch aus dem Mittelmeerraum." Wenn Ihr also mal so richtiges Italien- Gespräch führen wollt: Hier besser nicht.
"Und, Belle - wie schmeckte Euch?"
Eine Stunde später, wir sind kurz davor, ins Kalorien-Koma zu sacken, stehen Grappa und Espresso, Dick und Doof Italiens, auf dem Tisch. Die Dramaturgie sitzt bis ins Detail. "Dolci, Signori?", bellt er jetzt gebieterisch? "Espressi?" Wir nicken ergeben. Er hat uns weichgekocht für den kniffligen Moment: "Il conto, per favore". Wie präsentiert man als Wirt zwei Leuten eine Rechnung von 190 Euro, charmant und ohne Todesdrohungen zu kassieren? Wer einmal auf dem Markusplatz in Venedig einen Kaffee getrunken hat, weiß, was gemeint ist (wie der Tourist, der mal 43 Euro für ein Wasser und einen Espresso zahlen sollte). Aber auch hier hat PauloLuigiGiancarlo eine Guerillia-Taktik: Er setzt sich einfach zu uns an den Tisch, verwickelt uns in ein Gespräch. Hand auf den Arm hier, kumpelhaftes Schulterklopfen da, tiefer Blick ins Dekolletee und schwupps, spuckt das Kartenlesegerät einen 70 Zentimeter langen Beleg.
"Steuer...absetzen?" murmelst Du noch, bevor er Dich, nach einem Abschiedskuss mit Zunge ins wartende Taxi stopft.
Ganz perfide Wirte drehen auf den letzten Metern die Musik auf, ziehen Dich zu einem Tänzchen hoch und grölen Lieder, die nur sie kennen. Und, weil der letzte Primitivo Dich in eine sentimentale Sardinien"-Stimmung geschossen hat, tanzt Du mit. Das Leben feiern, es geht so einfach, wenn es andere bezahlen. Spätabends stolperst Du, eine gigantische Panettone unterm Arm, aus dem umgebauten Alimentari. Von den Hochtischen hast Du einen Bandscheibenvorfall. Immerhin: Der Ramazotti ging aufs Haus. Grazie.