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  • AutorenbildAnna Gelbert

Mütter gegen Maschinen - Fortnite, rück sofort mein Kind wieder raus!


Um es gleich vorwegzunehmen: Väter betrifft dieser Artikel genauso. Da ich aber Mutter und immer empfänglich für eine schöne Alliteration bin, muss das so. Eigentlich betrifft der Artikel jeden, der zusehen muss, wie eine ganze Generation Kinder von Ballerspielen eingesaugt wird. Ja, ich weiß, Spielkonsolen haben auch ihr Gutes: Die Teenies treiben sich nicht draußen herum, kiffen heimlich oder laufen Gefahr, Opfer einer Entführung zu werden. Nein, sie sitzen lieber daheim am Rechner und vernichten ihre Freizeit. Und führen mit ihren Eltern den folgenden, absolut sinnlosen Dialog (den Ihr Euch gerne als Blaupause rauskopieren könnt, denn ich bin sicher, Euch geht's nicht anders):

"Was soll ich auch sonst machen - mit 12?", fragt mein Sohn, als ich ihn (zugegeben etwas hitzig, ich glaube den Tonfall kenn ich aus einer Sportpalast-Rede) darauf anspreche. "Wie, was sollst Du sonst machen?", frage ich. Vielleicht ist ihm eine Sicherung durchgeschmort. Ich mache einen schnellen Pupillen-Reflex-Check, den er für die Androhung einer Ohrfeige halten könnte, wenn wir nicht völlig gewaltfrei unterwegs wären. (Wenngleich ich mittlerweile Konsolen-Blutrausch-Fantasien habe: Ich träume davon, den Lebenszeitvernichter in der Schrottpresse zersplittern zu sehen, auf dem Bildschirm flackerte noch ein lustig tanzender Söldner, ich winkte zum Abschied. Ich merk schon, ich drifte ab.) Zurück zu meinem Sohn. Er ist ein Spitzen-Typ. Er sieht gut aus, hat Freunde, spielt Fußball und Klavier, kommt ganz ok durch die Schule (das ist eine seltsame Reihenfolge, seh ich gerade). Und wir leben nicht in Rheda- Wiedenbrück, sondern in München, einer Millionenstadt voller Bolzplätze, Flagship Stores angesagter Marken, Groß-Kinos mit Popcorn-Eimern in Bulimiker-Größe, Hipster-Burger-Läden mit Indoor-Wald, einem gigantischen, nach Schweißfüßen müffelnden Trampolinpark und Dutzenden Schwimmbädern. So richtig langweilig klingt das für mich nicht. Alle Kinder haben Smartphones und könnten sich binnen Sekunden verabreden. Aber sie tun es nicht.

Stattdessen sitzen sie ab Nachmittags festgeschweißt auf Gaming-Stühlen (ja, ich hab einen gekauft, damit sich zu den gleich zu benennenden Problemen nicht noch ein Wirbelsäulenschaden addiert).

Vor einiger Zeit hab ich mich an dieser Stelle noch augenzwinkernd über die Generation Gaming ausgelassen.

Das Augenzwinkern ist jetzt vorbei. Mir reicht's Fortnite. Spuck mein Kind wieder aus - und dann mach, dass Du wegkommst.

Ich sehe rechts und links, wie die Nicht-Bewegung ganze Kindheiten wegfräst: Friedliche, soziale, aufgeweckte Schüler werden nach Stunden vor einem LED-Bildschirm zu Monstern. Aus manchen Zimmern kommen Laute, wie man sie vielleicht vom früheren Folterknast Abu Ghraib, sicher aber vom Kreisverwaltungsreferat an einem Monats-Ersten kennt.

"Lass uns mal festhalten", sage ich betont cool (ich musste eine Runde um Schwabing laufen, um meine Stimme in den Griff zu kriegen.) "Du rastest gerade aus, weil Du gegen ein elektronisches Gerät verlierst, richtig? Du weißt schon, dass das völlig bescheuert ist, oder?", frage ich meinen Sohn, der mich nicht hört, weil er unter dem Kopfhörer steckt und mit ein paar Typen aus Dubai zockt (plötzlich spricht er fließend Englisch, und ich denke, in zwei Wochen auch Arabisch. Nächstes Jahr wird er mit den Scheich-Teenies um Bitcoins, Immobilien und Öl zocken).

"Was habt Ihr denn früher Tolles gemacht?", fragt er mich provokant. Nur zu, eine eigene Meinung, kritische Nachfragen, das ist ja wichtig. Tja., was haben wir Tolles gemacht? Zugegeben, da war nicht immer viel Geist im Spiel: Wir haben auf dem Spielplatz die ersten Zigaretten probiert, vom süßen Holger aus der 8a geschwärmt, uns im Getränke-Markt mit Unmengen Chips eingedeckt, hier und da mit kleinen Ladendiebstählen geliebäugelt und allgemein gewartet, bis es Abend wird. Gefährlich war es bisweilen auch: Wenn kein Eltern-Helikopter neben Dir kreist, knallst du schon mal mit dem Rad böse gegen die Bahnschranke oder zündelst mit Bonbonpapieren und Mamas Feuerzeug. Aber: Wir haben auch mal ein Buch gelesen. Ich hätte niemals ein Literaturstudium absolviert, wenn ich an öden Abenden in der Kleinstadt nicht herausgefunden hätte, wie tröstlich, berauschend, entspannend ein guter Schmöker sein kann. Ob die Generation Harry Potter von damals (meine einzigen Hoffnungsträger, lauter Sechstklässler, die dicke Bücher lasen - bevor die Kinoverfilmung kam), ja, also, ob diese Generation heute auch an der Konsole - und moralisch in den Seilen hängt?

Die Kids heute sitzen sicher und warm daheim, nichts zieht sie nach draußen. Und ihr steigender Hormonpegel verträgt sich immer schlechter mit dem Frust, bei FIFA oder Fortnite auszuscheiden.

Dass sie dadurch auch im echten Leben immer mehr ausscheiden, merken sie nicht. Und wir Eltern sind plötzlich in der Verantwortung, eine Generation von Konsolen-Junkies ins digitale Methadonprogramm zu schicken.

Verbieten? Vergiss es. Ich kenne Familien, die ihren Kindern die Existenz dieser Welt im Jenseits so lange wie möglich verschweigen. Oft geht diese Rechnung scheinbar auf, und die Kleinen spielen bis kurz vorm Stimmbruch mit LEGO. Aber damit ist das Problem nur verlagert, denn sie lernen erst viel später, mit Sucht umzugehen. Ich war nie ein Freund von elterlichen Verboten und festgelegten TV-und Handyzeiten. Als 46-jährige Bloggerin und Instagram-Fan bin ich vielleicht nicht gerade ein digital native. Aber sagen wir, ich bin später zugezogen und fühle mich in dieser Welt ganz wohl. Wie auch immer: Verbote fand ich immer sinnlos. In der Regel haben unsere Kinder selbst irgendwann gemerkt, wann es gut war. Diese Gewissheit ist futsch, denn Digital Native klingt zwar hip und sexy, ist aber ein Euphemismus für ein Massen-Sucht-Phänomen.

Für die Gamer von heute gibt es nur noch wenige Gründe, OFF zu gehen: Die Pizza ist da, Training fängt an, der Handrang ist nicht mehr wegzudrücken, Controller muss geladen werden oder: Ein übermüdeter Elternkopf mit mahnendem Blick auf eine imaginäre Armbanduhr (die auch keiner mehr trägt) erscheint in der Tür. Bis dahin werden Kopfschmerzen, Frustgefühle und Verspannungen ignoriert, weil ja ALLE online sind. Beim Blick auf die Gruppe stellt sich dann oft heraus, dass ab 22 Uhr ALLE nur diejenigen sind, die schon seit Wochen kein Tageslicht mehr gesehen haben und schlechte Schulnoten als Zeichen von Coolness werten.

Aber nicht mit mir, Fortnite. Ich werde nicht zulassen, dass Du mein Familienleben zerstörst. Dass gemeinsame Mahlzeiten mehrmals angemahnt werden müssen (zu meinen persönlichen Tiefpunktzeiten habe ich den Herrschaften das Essen wortlos ins Zimmer gestellt). Damit ist jetzt Schluss.

Laut der Studie einer gesetzlichen Krankenkasse sind fast 3 Prozent der Jugendlichen süchtig nach Social Media (davon kann ich mich leider auch nicht freisprechen. Überhaupt können mich die Krankenkassen mal. Sollen erstmal ihre Milliardenüberschüsse lockermachen und das Krankenhauspersonal ordentlich bezahlen). Was aber klar ist: Immer mehr Jugendliche sind süchtig nach Games, können die dabei entstehenden Wut-Schübe aber gar nicht abbauen. Hierzu hat mein Sohn echte Aggro-Charts erarbeitet: "Der X hat schon zwei Rechner kaputtgehauen, der Y sogar schon seinen Stuhl zerlegt." Chapeau. Nur, seid Ihr keine Rockband mit eigenen Song, die Hotelzimmer und Gitarren zerlegt und dabei Millionen scheffelt. Ihr seid noch auf dem Weg - ja wohin eigentlich?

Unsere persönliche Zerstörungs-Statistik: Mehrere Controller, ein Schreibtisch, ein Kopfhörer, meine Nerven. Zugegeben, im Laufe meines Lebens habe ich auch schon Computermäuse und Bildschirme geschrottet, weil sie nicht funktionierten. Ein Kumpel fuhr aus Zorn so lange mit seinem Auto übers Handy, bis es nachweislich hinüber war. Es hat etwas irre Befreiendes, Technik zu zerstören, (wäre unklug, das ihm gegenüber zu erwähnen. Aber er ist schneller) "Du hast doch auch schon mein Handy aus dem Fenster geworfen und geschrottet", ups, ich dachte, das habe er vergessen...

Jetzt hau ich die Bremse rein, weil wir so nicht weiterkommen. Wir sind ja auch nicht bei 3 nach 9, wo wir mal alles erwachsen und auf Augenhöhe ausdiskutieren. Ich mach hier die Ansagen. Offen - oder manchmal mit Guerilla-Taktik: Ich bin Weltmeisterin im Controller-Verstecken geworden. Das Zeug kommt jetzt immer dahin, wo kein Teenie nachschaut: Tief unten im Wäschekorb, neben dem Gemüse, im Schulranzen. Und es kommt erst wieder raus, wenn alle Aufgaben erledigt sind.

Zu meiner Fassungslosigkeit gesellt sich die Sorge aller Eltern: Wenn unsere Kinder sich jetzt schon nicht gegen Süchte abgrenzen können, gar nicht mehr spüren, ob es ihnen schlecht geht, wie sollen sie in ein paar Jahren den Gefahren von Pfeffi und THC trotzen? Ich behaupte, ich lebe in einer ungesunden Sucht-Beziehung mit meinem Handy. Aber ich weiß das und lege das Ding öfter mal weg. Meinem Sohn muss ich jetzt Gaming-Zwangspausen verordnen, damit unser Familienleben überhaupt stattfinden kann. Und ich bete, dass in den nächsten Jahren irgendeine Leonie oder Lara diesen Konsolen-Quatsch ablöst und für ganz anders gelagerte Interessen im, ähem, echten Leben sorgt (erinnert mich noch an meine Worte. Wehe, sie tut meinem Kleinen weh, diese Bitch).

Und Du, Fortnite, Millarden-Dollar-Maschine. Du wirst irgendwann nur noch das Game sein, das alle mal spielten. Der globale Hype, der plötzlich so yesterday ist. Verpiss Dich aus unserem Leben.

Wir gehen OFF - zumindest bis morgen.

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