Unsere Schulen bereiten Kinder auf das Leben vor - das Leben 1982.

Kennt Ihr den Film "Louis taut auf?" Darin spielt mein Lieblingsschauspieler Louis de Funès den Griesgram Paul de Tartas, dessen Familie so tun muss, als sei noch das Jahr 1905. Der Grund: Sein Schwiegervater war in einer Eisscholle eingefroren und würde vermutlich vor Schreck sterben, wenn er erführe, dass es schon Flugzeuge gibt, Atombomben und freie Liebe (in der Gewichtung etwa gleich schlimm, nehme ich an).
Genauso fühle ich mich oft, wenn ich die Schulen meiner Kinder betrete. Hier müssen wir immer noch so tun, als sei 1982:
Es gibt Arbeitsblätter wie dieses im Fach HSU (Heimat- und Sachkunde-Unterricht, schon beim Lesen des Namens wächst mir eine Brille): Feuerwehr - Was tun wenn's brennt? Hätten wir diese brandheißen Ratschläge befolgt, wären wir im fortgeschrittenen dritten Jahrtausend alle verbrannt. "Tipp 1: Suche einen Münzfernsprecher (in der Pinakothek der Moderne). Tipp 2: Melde Dich mit "Hallo, hier spricht XY aus 8000 München 2." Vermutlich sind dem Verfasser die Augen zugefallen, als im Fernsehen nachts nur noch Testbild lief - und 40 Jahre nicht mehr aufgegangen.
In unserer Schule (zur Erinnerung: Unsere Schule steht nicht in Kirgisien, sondern in München Schwabing) gibt es eine blaue Strafbank, auf der Schüler sitzen müssen, die etwas ausgefressen haben - vermutlich ein Überbleibsel aus der Zeit der schlimmsten Stricksocken-Auszeitstuhl-Pädagogik: Hier kauern sie dann und werden von ihren Mitschülern verlacht. Wer einmal an solch einem Peinlich-Pranger bloßgestellt wird, lernt richtig hassen. Ansonsten lernt er: Nichts.
Beschwerden? Gerne an die Lehrkräfte - aber ausschließlich über Festnetz (noch bekannt? Festnetz?) oder die Sprechstunde - an einem Vormittag, für den wir Urlaub nehmen müssen. Wenige lassen sich neuerdings auch per mail anschreiben. Das dritte Jahrtausend blinkt manchmal schon durch.
Weiter geht’s mit Bildungs-Bullshit: Unsere Kinder lernen penibel eine Handschrift, die sie nie wieder brauchen werden - außer vielleicht für Einkaufszettel. Den Rest ihrer Tage werden sie tippend, simsend und whatsappend verbringen. Ich merke selbst, wie krakelig ich mittlerweile schreibe und bin manchmal erschüttert, wenn ich die Handschrift von Menschen sehe, mit denen ich sonst nur übers Smartphone kommuniziere. Ist dieser Trend zu beklagen? Sicherlich. Umkehren werden wir ihn nicht mehr.
Muss die Schule sich nicht mal ins Jahr 2018 bequemen? Den frischen Wind nutzen, den die Digital Natives mitbringen und anders lehren?
Einen Scheiß muss ich, scheint die Schule zu denken. Stoisch präsentiert sie die Verwaltung des Bildungs-Notstandes - etwa mit Geschichtsbüchern aus dem Jahr 2006 (auch damals waren sie schon zwanzig Jahre veraltet). In Zeiten, in denen es unfassbar gute History-Reportagen und Museen wie das Time Travel in Wien (unbedingt hingehen!) gibt, prangt bei uns auf jeder Seite eine alte Münze oder eine Bronzeplastik. Alexander der Große war ein geiler Typ, lädt aber als Portrait auf einer bleigrauen Buchstabenwüste zum sofortigen Power-Nap ein. Echte Geschichte wird nie so überholt sein wie dieses Altpapier.
Die meisten Schulen im Land bewegen sich in einer Zeitkapsel – mit kleinen Hoffnungs-Inseln. Es gibt Computer-Räume, ab und an wird ein Referat als Power-Point erlaubt. Ein paar lobenswerte Kollegen mühen sich bisweilen, ein bisschen Sauerstoff in diese Luftblase zu wedeln.
Das wars dann aber schon. Unsere Bildungseinrichtungen bereiten Kinder auf das Leben vor – auf das Leben 1982.
Sollten wir es Ihnen mal stecken? Ihnen zeigen, dass die Wirklichkeit unserer Kinder Galaxien von dem entfernt ist, was dort gelehrt wird? Dass der Wissensdurst spätestens in Klasse 3 abgetötet wird, wenn sie zum Thema Wald laminierte Blätter betrachten, anstatt einfach rauszugehen? Dass es irre gut gemachte Wissens-Programme und ergänzende Filme gibt, die Lust auf Lernen machen? Besorgte Eltern kennen sie schon. Denn, was die Schule nicht mehr leistet, holen wir alle nachmittags mit Lern-Apps nach.
Ich weiß schon: Kein Geld, keine Lehrer. Das sind allerdings dieselben Ausreden wie die schlecht angezogener Menschen: Für 50 Euro bekommst Du einen hässlichen Pulli – oder aber auch einen schönen. Es liegt an jedem selbst, Freude und Stil in sein Leben zu bringen.
Der Schuss könnte allerdings nach hinten losgehen: Die beste Szene in "Louis taut auf" ist nämlich die, in der Paul (also Louis) irgendwann die Faxen dicke hat und dem Aufgetauten im herrlichsten Rumpelstilzchen-Wutanfall der Filmgeschichte schonungslos alles zeigt: Die Glotze, die Nachrichten, die Concorde (okay, der Film ist von 1969). Und jetzt kommt’s: Während der Jahrhundertwende-Mann das alles völlig ruhig aufnimmt, wird Louis irgendwann verrückt - und lässt sich selbst einfrieren.