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  • AutorenbildAnna Gelbert

Abholzeit: 15 Uhr - Ende der Ära Kindergarten


Und wir dachten immer, wir hätten es eilig.

Ein ganz besonderer Countdown läuft gerade in meinem Leben: Noch fünf Tage lang werde ich morgens mit meiner Tochter zum Kindergarten fahren. Danach? Aus die Maus.

Ein Jahrzehnt lang habe ich diesen Weg jetzt gemacht: Erst fünf Jahre mit meinem Sohn, dann fünf Jahre mit meiner Tochter. Das bedeutet: Hunderte Fahrten mit Bob der Baumeister und danach noch einmal hunderte mit Bibi & Tina, zum Glück nur wenige Fahrten mit Kotzanfällen, viele mit Freunden auf dem Rücksitz, Party.

"Mama, ich will Hulapalu hören!" Normalerweise krampft sich jetzt mein Inneres zusammen. Höchststrafe. Allerdings ist es sinnlos, sich zu wehren. Wenn ich jetzt auf EgoFM bestünde, kämen sie vom Nebensitz, die Zwischenrufe "Laaangweilig". Außerdem hat sie das iPhone in der Hand, ich das Lenkrad. Einlenken also.

Zwischen Kind 1 und Kind 2 hat sich der gesamte Musikbetrieb aufs Smartphone verlagert. Meine Tochter tippt: In der Playlist bewegt sie sich so sicher wie ein Kicker auf dem Fußballfeld. Die Peinlich-Playlist darf ich allerdings niemandem zeigen, sie ist eine Mischung aus der Musik-Hölle zweier verirrter Geschmäcker: 50 Cent meets Sternenfohlen, Bruno Mars schlägt Bibi, Ariana Grande versus Deine Freunde, arabischer Pop übertont Andreas Gabalier. Es könnte ein Mutter-Tochter-Listening-Battle sein - wüsste ich, wo mein Geschmack aufhört und ihrer anfängt.

Wie viele Male bin ich gestresst gefahren? Getrieben von To-do-Listen, ihren Tag ungeduldig abfragend, "und wie war Euer Ausflug heute?". Die Antwort habe ich selten abgewartet, weil wieder jemand aus der Arbeit anrief, mit einem Anliegen, das vermeintlich nicht warten konnte. Warten müssen in solchen Fällen immer nur die Kinder. Irgendwann ahmen sie uns nach und verlagern ihre Blicke, die in den ersten Jahren noch kindlich staunend nach außen gehen, in den Innenraum des Fahrzeuges, aufs Handy. Seit ich das registriert habe, zwinge ich mich, auch wieder mehr wahrzunehmen: Die Bäume, die Jahreszeiten. Es ist nicht alles ein Wunder, aber doch meistens spannender als Job-Telefonate. Es ist das Syndrom des Erwachsenseins: Keine Zeit und späte Reue. No regrets? Bei mir nicht.

Jetzt erst, wo sie zu Ende gehen, merke ich, wie sehr mir diese Stunden fehlen werden.

Wie wir händchenhaltend "hodiodiohdieodieh" grölen, (ich werde dann doch hin und wieder schwach..), sinnlose Eis-Zwischenstopps an Tankstellen einlegen, obwohl wir in 15 Minuten am Ziel sind, wie wir auf Feldern Blumen schneiden und die Bezahlung, sagen wir, sportlich abwickeln.

Ich denke an all die Male, die wir nach Hause gehetzt sind, schnell, gleich fängt Hip Hop/Englisch/Turnen an. Wir dachten, wir hätten es eilig, dabei waren das genau: die kostbarsten Minuten.

Ich habe im Auto vor meinen Kinder geweint, gelacht - und geflucht. Das Wort Arschloch kannten beide lange vor dem Wort Zahnpasta.

Ich habe zwei Kita-Eingewöhnungen hinter mir, musste zweimal kleine Ärmchen von meinem Hals lösen, weil ich ins Meeting musste, ich habe weinend im Treppenhaus gekauert, weil sie mit verlorenem Blick ihre Nase an die Scheibe pressten. Ich habe gejubelt, als sie endlich angekommen und glücklich waren - von hoch oben im Baum - bettelten "nur noch eine halbe Stunde, Mama, bitte!" und die Kindergeburtstagseinladungen sich in ihren Postfächern stapelten.

Ich habe zweimal grottoide Schultüten gebastelt und an zehn Geburtstagen Dr. Oetker Muffin-Backmischungen verwendet, dem besten Mutti-Entlaster unserer Zeit.

Ich habe mir bei Elternabenden auf XS-Stühlen fast Bandscheibenvorfälle geholt, weil um 22.30 immer noch jemand wissen wollte, ob die Milch auch BIO sei.

Ich hatte in manchen Phasen gute Lust, die Kindergartennummer zu blockieren, weil ihr Aufleuchten in meinem Display IMMER bedeutete: Laptop zuklappen, Lalülala zum Kinderarzt, Hand-Mund-Fuß-Läuse-Streptokokken-GARNICHTS-Diagnose abholen, Termine umbasteln. Ich erinnere mich allerdings auch an manchen Moment der Erleichterung: Kind krank, und zwar so richtig, jetzt kannst, nein MUSST Du nach Hause, und gar nichts tun außer Verwöhnen. Duchatmen: Nichts ist jetzt wichtiger, als dieses fiebernde, kotzende Kerlchen aufzufangen.

Wir hatten absurde Elterngespräche mit Ressourcen-Sonnen, Sorgen, die im Nachhinein so klein erscheinen ("Wir glauben, er ist Rechtshänder", "Hält mein Kind die Schere richtig?" "Verwächst sich das Lispeln?"). Mein Traum-Elterngespräch von heute wäre: "Hey, da draußen spielt Dein Kind! Es hat Arme und Beine, viele Freunde und noch mehr Freude am Leben. Schmeiß Deinen Zettel mit überängstlichen Fragen weg, geh auf die Knie und danke wem auch immer für diesen Hammer-Jungen/dieses Hammermädchen da im Sandkasten!" Wir sind die Generation: Wenn wir uns nicht sorgen, sind wir keine guten Eltern. Auch das merke ich spät - aber nicht zu spät.

Für die Schule, diese These ist erprobt, ist es gut, ein bisschen vom Angst- und Stressgas zu gehen. Wenn sich alle irre machen, werden irgendwann auch alle irre.

Für jetzt klappe ich den Deckel auf die Kita-Zeit, die Kinder in nur wenigen Ländern Kinder so sorglos und behütet erleben dürfen wie bei uns. Ich merke: Unsere Ära hier ist vorbei. Manchmal spiegle ich mich auf dem Nachhauseweg in der Scheibe: Eine alte Frau mit einem kleinen Mädchen an der Hand. Es reicht.

Wir hatten Spaß. Wir haben viel gelernt. Es ist gut, dass es weitergeht. Lasst es uns noch mehr genießen!

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