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  • AutorenbildAnna Gelbert

3 Zimmer, Küche, Servus - Mietmasochismus in München


Nirgendwo wird so viel gelogen wie beim Sex und auf dem Münchner Mietmarkt.

Gerade erst habe ich meine achte Wohnung in dieser Stadt angemietet - und bräuchte noch ein eigenes Zimmer für meinen sich dauerschüttelnden Kopf. Sich hier auf den Immobilienmarkt zu werfen, das ist ein Heimat-Himmelfahrtskommando. Seit 20 Jahren liebe ich diese Stadt. Aber ich hasse ihren Wohnungsmarkt. Nicht, dass es hier keine Wohnungen gäbe, nicht doch.

Es gibt: Als Maisonette verbrämte, übereinander geschachtelte Butzen, notdürftig mit Restfarbe überpinselte und als saniert deklarierte Altbauten, von WGs in Grund und Boden gefeierte Bierlager, als Mid-Century betitelte 60er-Jahre-Bausünden und repräsentative Prachtvillen, die aber vor allem diejenigen repräsentieren, die sie für 6000 Euro im Monat vermieten. Und es gibt jede Menge neuen Wohnraum in unwirtlichen Gegenden, wo jetzt hektisch Familien und Supermärkte angesiedelt werden. Gerne wird hier gleichwohl vergessen, dass all diese Kinder auch Schulen und Kindergärten besuchen müssen. Die sind meist erst dann fertig gebaut, wenn die Kleinen ihr Abitur gemacht haben - woanders.

Also, keine Panik, es gibt Wohnungen. Man muss nur suchen. Und erstmal zur Suche zugelassen werden.

Wie die Clubs und Bars dieser Stadt, so ist unser Mietmarkt: Selbst die Suche ist einem exklusiven Zirkel Auserwählter vorbehalten. Du bekommst leichter bei Tinder ein Super-Match mit einem 35-jährigen humorvollen surfenden Single-Anwalt, der sich Kinder wünscht, als eine passende Bleibe in unserer Moet-Metropole. Wenn die Münchner könnten, sie würden sogar am Eingang zum Wohnungsmarkt noch einen Türsteher platzieren. Konntest Du früher noch zum genannten Termin kommen und Dir das Ding erstmal ansehen, musst Du heute Wildfremden Dutzende brisanteste Unterlagen überantworten, um überhaupt in die nähere Auswahl für einen Rückruf zu kommen. Nein, gegen mich liegt kein Räumungsverfahren vor, auch kein Haftbefehl. Interpol hat mich nicht auf dem Radar, meine Rechnungen habe ich auch brav bezahlt. Warum so viele Strafzettel? Naja, Handy am Steuer, Ihr wisst schon. Hier und da mal ne Parkzeit überschritten. Meine Blutgruppe? Puh...ich muss mal nachschauen. Ja, Familienstammbuch reiche ich nach.

Ich dachte immer: Einen Fehler darfst Du als Wohnungssuchender in München NIE, NIEMALS begehen - ehrlich sein. Zumindest nicht von Anfang an.

Neulich in Schwabing: Altbau, beste Lage, passabler Preis - sofern 1700 Euro kalt für drei Zimmer als passabel gelten. Schon auf der Straße bilden sich lange Schlangen vermeintlich gutsituierter Paare. Niemand hat Kinder dabei. Wer die beiden Kleinen sind, die da an der Ecke rumlungern? Weiß nicht, die kenn ich nicht. Liebe Vermieter: Wisst Ihr eigentlich, dass Eure kinderlosen Traumpaare von heute die Familien von morgen sind? Auch sie werden vermutlich irgendwann Laufräder im Treppenhaus stapeln und morgens ab 7 Uhr Verstecken spielen.

Übrigens hat jede alleinlebende Frau hier (Schreckgespenst vieler Vermieter: Nur EIN Gehalt - und dann sicher bald liiert) ihren besten schwulen Freund im Anzug dabei, die Maklerin wird zur Ablenkung noch vor dem Erreichen der obersten Treppenstufe in ein intensives Gespräch verwickelt.

Ach, überhaupt die Makler (kein weiteres Wort über diesen Menschenschlag): Seit wenigen Jahren werden die vom Auftraggeber bezahlt und nicht mehr von uns. Früher hat ein Umzug schon lange vor dem ersten IKEA-Besuch fünfstellige Beträge verschlungen. Jetzt also nur noch Kampf um die Gunst der Eigentümer. Zurück im Schwabinger Altbau. Oben wartet das Vermieter-Paar. "Und Sie sind...?" Tja, ich? Ich bin Frau Gelbert und offenbar auf der falschen Seite des Lebens aufgeschlagen, wenn ich hier bei Gleichaltrigen eine Wohnung anmiete. Auch ich könnte heute eine Wohnung vermieten. Hätte ich nur vor 20 Jahren, mit der erstbesten festeren Beziehung gleich eintüten müssen. Aber dann stünde ich jetzt hier mit..., ach lassen wir das. So stehe ich jetzt hier allein. Auch nicht viel besser. Angespannt überreiche ich die Unterlagen, würde aber in diesem Augenblick liebend gern auch eine Maulschelle überreichen.

"DAS sind Ihre Gehaltsnachweise?", presst sie hervor? "Ja", wispere ich, "die letzten 20". Für eine Frau, man muss es im Jahr 2018 leider immer noch sagen, verdiene ich nicht schlecht. Scheint aber hier anders gesehen zu werden. Sie schaut mich an, als hätte ich sie um ein zinsloses Darlehen und Familien-Nachzug für meine 24 Cousins gebeten und nicht, als wäre ich drauf und dran, für die nächsten Jahre ihre hastig getätigte, überteuerte Geldanlage abzubezahlen.

"Wir melden uns dann bei Ihnen". Da ist er, der Killersatz. Bin ich im Recall?

Dann ein helles Wetterleuchten in meinem Kopf. Kein Schlaganfall, sondern die Einsicht: Schluss mit dem Versteckspiel, denn ich HABE nichts zu verstecken. Weder schleppe ich kurz nach der Unterschrift eine Python an (zumal ich panische Angst vor Schlangen habe), noch nisten sich hier liebe, liebe Freunde über Monate ein. Die letzten Mietverhältnisse waren glimpflich bis harmonisch - trotz eines E-Pianos und gelegentlicher Steh-Parties in meiner Küche.

Also, ab jetzt gnadenlose Ehrlichkeit. Zur nächsten Besichtigung gibt' s das volle Brett: "Ich will hier mit zwei Kindern einziehen!" Nehmt das.

Als Münchner Mieter muss man gleichzeitig ein bisschen Masochist sein. Die Leidensfähigkeit, mit der wir Reservierungen in begehrten Restaurants erflehen, uns auf Wartelisten für Handtaschen setzen lassen und auf der A8 im Stau schimmeln, sucht europaweit ihresgleichen. Wir zahlen horrende Mieten (und noch absurdere Summen für Eigenheime). Und wenn wir nicht zugreifen, steht immer noch einer mit einem größeren Geldkoffer hinter uns. In München heißt es: Lebst Du noch - oder wohnst Du schon? Nichtsdestotrotz war ich immer gerne Mieterin hier. Verbunden - aber ungebunden. Die Freiheit, ein nervig gewordenes Viertel zu verlassen oder ein Wohnhaus, in dem jedes Wochenende die Hölle losbricht, ist Gold wert. Aber die Stadt wechseln, weil es woanders mehr Wohnraum gibt? Die Schönheit, die Sicherheit, der Wohlstand, die Berge - ach, ich weiß es doch selbst. "Verlass sie doch endlich!", würden mir wohlmeinende Freunde beim Gejammer über diese Stadt raten. Meine Antwort ist und bleibt: "Aber ich liebe sie doch!"

Nächsten Monat zieh ich um.

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