top of page
AutorenbildAnna Gelbert

Passwort vergessen? Ich PIN gearscht


Um ein Haar hätte ich diese Kolumne nicht schreiben können. Der Grund: Ich hatte das Passwort für die Seite verschludert.

Ich weiß nicht, wie oft ich in letzter Zeit auf "Zugangsdaten vergessen" geklickt habe.

Mein Leben ähnelt immer mehr dem Pentagon - nur ohne all die Menschen in Anzügen, die brisante Staatsgeheimnisse bunkern. Ich komme in die banalsten meiner Lebensbereiche nicht mehr rein.

Buchungen bei bahn.de? Nur mit Anmeldung. Flüge verwalten? Dito. Dass ich für mein Fahrrad ein Zahlenschloss habe und für Bankkonten PINs, mag ja noch angehen. Mittlerweile ist mein Passwort-Verzeichnis aber so umfangreich wie die Cocktailkarte im Schumanns: Urlaubspläne, Lern- Apps, Ebay, H&M, ja sogar unser Kindergarten hat eine eigene App mit Zugangsdaten. Facebook, Insta, Outlook, selbst bei meinem verdammten Getränkelieferanten muss ich mich anmelden, wenn ich eine Kiste Rhabarberschorle bestellen will. Dann die Telekom, die Strom-Jungs, DM-Payback, ich hab sogar eine KFZ-Versicherung gekündigt, weil ich mir die Kommunikation mit einem virtuellen Service-Center zu doof wurde. Ach ja, einfach kündigen geht ja nicht: Du brauchst Zugangsdaten. Jetzt habe ich eine Versicherung, die zwar teuer ist, bei der aber jemand aus Fleisch und Blut ans Telefon geht und Dein Problem flugs löst. Weiter geht's: Apple, Asos, Netflix, Drive Now, Foodora. Wenn ich die alle runterbete, wird das ein Hip Hop-Song wie MFG von den Fanta Vier. Der würde aber nie gelauncht, weil ich die Zugangsdaten für mein Musikprogramm verbaselt hätte.

An dieser Stelle meines Gejammers kommen jedes Mal die Schlaumeier und raunen: Du musst halt immer das selbe Passwort nehmen, die selbe Zahlenkombi oder Zahlen-Zeichen-Buchstaben-Mischung oder Sicherheitsfrage (Meist sind das so knackige Fragen wie: "An welchem Wochentag hat Dein ältestes Kind seinen zweiten Zahn verloren?")

Bullshit. Ich hab einen Benutzernamen-Burnout. Um irgendwie durch den Digital-Dschungel zu kommen, habe ich mir old-school-Listen aus Papier geschrieben (bin ja nicht doof: Wenn ich die auf dem Laptop ablege, komme ich wieder nur mit zwei Zauberwörtern rein), damit ich jederzeit die virtuellen Türen zu den Räumen meiner eigenen Existenz wieder öffnen kann. Wo diese Listen liegen? In einem Safe mit einer ganz einfachen Zahlenkom...ach nee, ich merke schon, das führt nirgendwohin.

Mir reicht's jetzt. Ich habe einen analogen Trotzanfall, ich will endlich ein gläserner Bürger sein. Mir doch egal, ob jemand in meinem Namen Shampoo bestellt oder sich bei Zalando nen Bunten macht. Ich weiß schon, das ist alles nötig, damit nicht Betrüger, Hacker und sonstige Schwachmaten in meinem Leben rumfuhrwerken.

Manchmal wünsche ich mir allerdings einen dicken Schlüsselbund für alles. Wie ein Hausmeister 1985 will ich im blauen Kittel durch mein Leben waten und für jeden Raum erstmal wichtig nach dem passenden Schlüssel kramen. Jeder einzelne wäre fein säuberlich beschriftet, nachts läge der zwei Kilo schwere Metallkoloss auf meinem Nachttisch und wartete geduldig auf seinen Einsatz.

Die meisten Leute, die ich kenne - also die über 40 - fangen jetzt langsam an, ein bisschen vergesslich zu werden. Hei, das wird ein Spaß, wenn die erste digitale Generation alt wird und wirr an Bank-Automaten über Zahlenkombis rätselt oder den ICE zu den Enkeln nicht mehr buchen kann, weil aus den vielen Zugangsdaten zu ihrem Leben ein grauer, zähflüssiger Zahlen-Buchstabenbrei geworden ist. Wenn Alt-Hipster mit Sneaker an den Füßen stündlich ihre Enkel am Smartphone nerven, um das Account-Knäuel wieder zu entwirren. Und seit die neue Datenschutzgrundverordnung greift, ist alles noch ein bisschen irrer.

Vielleicht befreiend, wenn man irgendwann sagen kann: Zugangsdaten vergessen, und - nein danke, ich will kein neues Passwort.

bottom of page