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  • AutorenbildAnna Gelbert

Frühlings-Reset - Ist der Sonnen-Platz noch frei?


Es war eine komische Woche. Zum ersten Mal seit einem halben Jahr habe ich das Gefühl, ich kann der Sonne vertrauen. Nach einem nicht enden wollenden, trüben Winter hatte ich immer misstrauisch eine Jacke im Kofferraum (war natürlich auch mit Auto statt Fahrrad unterwegs, es kann ja immer noch ein spontanes Schneegestöberchen kommen), alle Familienmitglieder waren stets gerüstet für a) einen Blizzard, b) 20 Grad und Spaghetti-Eis und c) die Apokalypse.

Jetzt merke ich: Ich kann mich langsam entspannen. Das Vogelgezwitscher kommt nicht mehr nur von meinem Meditations-Programm auf YouTube, der Rosato mit Oliven und Chips schmeckt in meinem Lieblings-Cafe so gut wie noch nie, ich krame meine High Heel Sandalen aus dem Schrank und wundere mich über uns Deutsche:

Waren alle den ganzen Winter über so freundlich? "Verzeihung, ist der Platz neben Ihnen noch frei?" "Ja klar, kein Problem!" Wie jetzt, einfach so? Noch vor wenigen Wintern stieg ich mal in die Tram ein und sagte zum Fahrer freundlich "Hallo!". Er so: "Was heißt hier hallo?"

Wären wir mit besserem Klima ein ganz anderes Volk? Würden wir uns nicht um Parkplätze und die besten Nummern im Kreisverwaltungsreferat kloppen (ja, hieße dieses Behördenmonstrum gleich ganz anders? Vielleicht ganz D-englisch Centre for se Regelung of Pain-in-the-Arse-Angelegenheiten)? Vielleicht gäbe es weniger Gerichtsprozesse dauer-empörter Rentner um laute Laubbläser jenseits der zulässigen Laubbläserzeiten, weniger Stuhlgang-farbene, ärmellose Daunenwesten und mehr Lächeln?

Schlechte Laune steckt an. Mich auch. Wenn Du den ganzen Vormittag in Gesichter mit Angela-Merkel-Mundwinkeln geschaut hast, legst Du automatisch einen Filter auf Deine eigene Stimmung. (Ich muss mich wohl vertan haben, heute IST doch kein guter Tag!).

Gute Laune steckt allerdings auch an. Fast alle.

Gestern spätnachmittags vor meinem Lieblings-Cafe: Ein Radfahrer und ein Autofahrer, genauer, ein Kampf-Radler und ein Cayenne-Midlife-Crisis-Mann kriegen sich tierisch in die Wolle. Den Grund bekommt niemand mit. Wohl aber, dass es auf der Meta-Ebene um existenzielle Fragen geht wie: Wer hat den größeren Schalthebel? Wer ist besser für die Umwelt/seine Mitmenschen/die Autoindustrie/Outdoor-Ausstatter? Was bei den 150 Eis-Kaffee-Genießern aber sehr wohl ankam: Absolut lächerlich, sich wegen so einem Quatsch aufzuregen. Kollektives Gelächter auf der Terrasse, Gesicht wieder in die Sonne, weiter geht's.

Der Frühling ist eine gute Zeit, um längst fällige Veränderungen anzuschieben. Ich zum Beispiel habe meine teure Wohnung gekündigt. Einfach so. Ohne zu wissen, was in drei Monaten sein wird, vertraue ich darauf, dass es schon irgendwie weitergeht. Im November wäre das undenkbar gewesen. Nebelschwaden draußen, Dunkelheit ab vier und die bange Frage: Gibt es überhaupt ein Morgen, und falls ja, lohnt es sich, dafür noch eine Kaution hinzulegen?

An mehr Veränderungen traue ich mich (noch) nicht ran. Andere planen endlich den Hauskauf, nehmen eine Bandscheiben-OP in Angriff oder reichen die Steuererklärung diesmal überpünktlich ein. Das Höchste der Gefühle für mich: Die Haare etwas kürzer (nein, auch diesmal kein Long Bob) und ein paar buntere Klamotten. Der Dauerwinter hat mich zu einer Spießerin gemacht. Aber jetzt spüre ich langsam - es könnte etwas vorwärts gehen, vielleicht gibt es ein Leben nach dem Tod, äh, Winter. Weiß jemand vielleicht von einer guten Wohnung in Schwabing?

Eine herrliche Frühlingszeit Euch allen!

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