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AutorenbildAnna Gelbert

Driving Home For Christmas: Das Leben ist ein Geschenk - wem's reicht


Als Kind habe ich mich gefragt, warum meine Mutter immer an Heiligabend beim Lied Stille Nacht weinen musste.

Den ganzen Gottesdienst über, wunderbare Stimmung, „Oh Du Fröhliche“, ganz große Freude. Und dann, zack, liefen die Tränen.

Für Kinder ist das völlig unverständlich: Zuhause wartet doch die Mega-Bescherung, Hütte voll, Spielzeug en masse, Kracher-Essen, endlich Ferien. Wo ist das Problem?

Das verstehst Du erst viel später. Weihnachten ist nie wieder so schön wie als Kind.

Denn Heiligabend wird immer mehr zum Spiegel Deines Lebens, zur einsamen Stunde auf dem Gipfel. Wenn die letzten Geschenke verpackt, die Geschäfte endlich geschlossen sind, der Baum steht, die mörderischen letzten Höhenmeter voller Adventsbasare, Basislager in der Postfiliale und Eiswind in der Fußgängerzone überwunden sind, dann ist die Stille Nacht endlich: still. (Für viele aus lauter Verzweiflung auch: voll)

Und Du hast kurz Zeit, Dir Gedanken über Dein Leben zu machen.

Es gibt Jahre, da sieht die Bilanz der letzten 364 Tage gut aus. Es ist mehr entstanden als kaputtgegangen. Strike! In anderen Jahren ist es genau andersrum. Und Du, wie ein Bergsteiger, kraxelst immer weiter, musst Deinen Atem einteilen, gerätst ins Schwitzen, zwischendrin könntest Du kotzen vor Frust und Erschöpfung. Dann wieder, auf einem Plateau, zeigt sich die Sonne, Du fühlst Dich stark und frisch. Und dann kommt er, dieser Moment auf dem Gipfel - an Heiligabend. Du denkst an all diejenigen, die es nicht gepackt haben bis hierher. Du schaust Deine wunderschönen Kinder an - ihre Vorfreude ist so knisternd wie Geschenkfolie - und wünschst Ihnen, dass dieses Fest möglichst lange so üppig und unschuldig bleibt. Dass das größte Problem immer sein wird: Die Meerjungfrauen-Barbie gab‘s nicht mehr in Türkis, sondern nur in Lila.

Schon seit Wochen muss ich beim Song „Driving home for Christmas“ schwer schlucken. Nicht nur, weil sein Schöpfer Chris Rea es wohl nicht mehr lange macht, sondern auch, weil mir klar wird, dass dieses Lied für uns alle nicht mehr, nie mehr so klingt wie früher. Damals fuhren wir alle vom Studium, vom Zivildienst, aus dem Ausland heim, weil dort Vertrautes wartete. Lieblingsessen, die Macken der Eltern, Daheim-Duft.

Jetzt fahren viele von uns in ein Zuhause, in denen ein oder zwei alte, vielleicht kranke Elternteile sitzen, nicht mehr in der Lage, Weihnachten zu dem Fest zu machen, das wir als Kinder so liebten.

Ich fahre in gar kein Zuhause mehr. Meine Eltern leben nicht mehr.

Jetzt sind wir das Zuhause für unsere Kinder, und das ist eine Riesen-Verantwortung. Wir tun alles dafür, dass sie zwischen Playstation und Playmobil, zwischen Gottesdienst und Gans genau das Weihnachten erleben, an dem sie später alles messen werden.

Und das ist das Problem. Den Verfall allen Lebens können wir nicht stoppen. Aber wir tun immer weniger für uns an diesen Tagen. Sorgen für alle, organisieren alles – und wir? Wir genießen nur Schlüsselmomente, die Kirche, die Stille, das Leuchten der Kinderaugen und ziehen uns selbstlos zurück. Dabei sind wir die Generation, die nach oben und unten alles abpuffert, alles auffängt, alles zusammenhält. WIR haben auch mal wieder eine Bescherung wie früher verdient.

Es gab Jahre, da lag unterm Baum ein Berg an Schmuck, Taschen, Wäsche, Parfum, Büchern. Jahre, in denen sich alle nach der Bescherung zuraunten „Mein Gott, nächstes Jahr halten wir‘s aber kleiner!“, beschämt über das Glücksgefühl, das sich trotzdem einstellt, wenn man schöne Gegenstände in Händen hält. In letzter Minute haben alle noch ein völlig übertriebenes Präsent gekauft (haben wir nicht zu wenig für XY…?). Heute weiß ich: Das war goldrichtig. Das Lächeln auf dem Gesicht Deiner Liebsten ist jeden Cent wert, wenn sie etwas bekommen, das sie wirklich freut.

Das sind die Glanzzeiten.

Irgendwann fallen immer mehr Schenker weg. Mit Deinen Geschwistern vereinbarst Du, um den Stress zu minimieren „Ach lass uns gegenseitig nichts mehr schenken“. Mit deinem Ex hast Du’s Dir vielleicht verschissen – da kommt auch nichts mehr. Du hast Kinder, Patenkinder, Nichten, Neffen und gibst und gibst und gibst.

Ich plädiere für eine Rückkehr zur Opulenz: Leute, lasst Euch wieder beschenken! Bescheidenheit ist an Weihnachten die richtige Eigenschaft zur verdammt falschen Zeit. Wir haben so viel verloren auf dem Weg - und wir sind immer noch da. Wir wollen wieder auspacken wie früher. Wir wollen nicht nur eine stille Nacht, sondern auch eine glamouröse! Wir sparen wieder - ab dem 25.12. (Geschäfte ohnehin zu und keine Zeit für Online-Shopping!) Lasst uns das ganze „Ach ich hab doch alles-Gedöns“ wieder rückgängig machen, aber subito! Gebt uns Selbstgebasteltes, liebevoll Gekauftes und schön Eingepacktes, wir haben es uns verdient!

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