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  • AutorenbildAnna Gelbert

Die Nacht gehört den Gelangweilten


Wenn Du über 40 bist, wird Ausgehen zum Spießer-Rutenlauf. Die wildeste Phase hattest Du um die 30 - als die Clubs noch Disco hießen. Dann kamen zehn Jahre, in denen Du Dich vornehmlich der Kinderaufzucht gewidmet hast und jeden Abend um 21 Uhr im Bett warst – unterbrochen von gelegentlichen Besuchen in Restaurants.

Und jetzt kommt die Lebensphase, in der Du wieder was erleben willst.

Aber was?

Als erwachsener Mensch mit Freunden ausgehen ist plötzlich gar nicht so einfach. Die Barmeilen sind überschwemmt mit verschwörerisch dreinblickenden Vor-der-Tür-Rauchern und einem Heer exakt gleich aussehender junger Frauen: Alle gefühlt 29, alle mit Abschmink-Dutt, einem übergroßen Mantel und weißen Sneakers. Diversity? Hier nicht. Wenn Du also nach dem Restaurantbesuch mit ein paar Gläsern Wein und guten Gesprächen noch „weiterziehen willst“, auf „einen Absacker“ gar, kommt das böse Erwachen. Der Türsteher kennt keine Gnade. Für ihn, der gerade auf Bewährung draußen ist, seid ihr eine als Clique erfolgreicher Macher getarnte Ansammlung chinesicher Faltenhunde, die den Altersdurchschnitt in seiner Bar um ein Lichtjahr hebt. Auch wenn Deine Handtasche soviel kostet, wie er im Monat verdient, bist Du auf ihn angewiesen.

Die Alternative? Keine.

Die berühmteste Bar Münchens macht noch schlechtere Laune. Hier darfst Du zwar rein, bist aber nicht willkommen. Und spätestens wenn du im Theken-Abschnitt „teures Blond“ an Deinem 14 Euro-Drink nippst, zwischen Nasenkorrekturen und Hyaluron-Hysterikerinnen, dann reicht’s Dir. Einige hier haben von ihrem überguten Leben eine solch fiese Weißweinfahne, dass ein Moskito, direkt nachdem er sie gestochen hat, direkt in die Betty-Ford-Klinik einchecken könnte. Andere zelebrieren lässige Langeweile. Hier sind alle alles, nur nicht glücklich.

Wo also hin, wenn der Abend noch nicht mit vollem Magen um 22 Uhr enden soll?

Clubs?

Neulich hab ich’s mal wieder ausprobiert. Clubbing Ü40, das geht so: Ich gehe als erste um 23 Uhr rein, schon todmüde, zähle die Stunden, die ich noch schlafen dürfte, bevor die Kinder mich wecken. Dann, nach zwei Stunden Wartezeit in der einzigen Sitzgelegenheit, strömt sie rein, die Armee der Angeödeten. Gemächlich, die haben alle keine Eile, sehen dabei aber lächerlich gut aus. In ihren Gesprächen die Suche nach dem perfekten Studiengang, dem perfekten Job, der perfekten Liebe. „Und dann hat er gesagt, und dann hab ich gesagt“, schnappe ich im Vorbeigehen auf und bin froh, dass ich schon eine Generation, eine Ehe und zwei Kinder weiter bin. Wenn Du denkst, süß und leer ist eine seltsame Kombination – auf ihren Gesichtern findest du sie.

Plötzlich nimmt der Abend Fahrt auf: Tupac läuft. Woher kennen die den alle? He’s dead. Neben mir tanzt eine Aushilfs-Beyonce mit Kreolen – und jetzt wird mir klar: Ich gehöre hier nicht (mehr) rein. Während sie – wie alle hier - perfekte Hip Hip Moves macht, tanze ich das, was man Mom-Dance nennt. Meine Kinder würden sich freiwillig zur Adoption freigeben, wenn sie das jetzt sehen könnten. Ich kann froh sein, wenn‘s heute nacht nicht bei youtube viral geht. „Brauchst Du Hilfe?“ fragt mich Problemviertel-Beyonce jetzt, weil ich wohl aussehe, als hätte ich gerade nen Schlaganfall gehabt. Tatsächlich brauche ich Hilfe beim Rauskommen. Es ist fast unmöglich, sich aus dieser Wolke aus Schweiß, Axe und perfekt trainierten Körpern zu befreien.

Als wir um 1:30 als erste und einzige gehen, mit der Weltklasse-Verabschiedung zu den Garderoben-Mädels „Das Altersheim schließt um zwei“, fühlen wir uns verwegen und wild. Wir waren lange aus – und die hier? Die fangen die Nacht gerade erst an. Anders als wir werden sie aber morgen bis mittags schlafen, sich graugesichtig mit Freundinnen im Coffee Shop treffen, wo sie ihre bleichen Hände unter Hoodie-Ärmeln fröstelnd um eine übergroße Latte-Tasse klammern. Und wir? Werden um sieben von den Kindern und unserer Blase geweckt, nach vier Stunden Leicht-Schlaf. Wir sehen nicht übler aus als sonst, denn wir haben uns gewissenhaft abgeschminkt. Wir schleppen uns halbwegs würdevoll durch den Tag, Schlafmangel kennen wir aus vielen Jahren mit Baby.

Nur dumm kommen darf uns heute keiner.

Und am Abend – wenn sie schon wieder auf der Piste sind und sich in die Nacht reinlangweilen, wenn Ihr Leben auf Instagram-Bildern besser aussieht, als es in Wirklichkeit ist, dann kuscheln wir uns in eine übergroße, unansehnliche Schlafhose und freuen uns, dass das Licht noch vor dem Tatort ausgeht.

Wir sind raus.

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