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AutorenbildAnna Gelbert

Muttertag für NPCs



Gestern wurde ich im Schwimmbad Zeugin eines Dramas: Ein etwa fünfjähriges Kind, das im warmen Wasser bei 23 Grad Außentemperatur Badekappe, einen Neoprenanzug und Sunblocker trug, wurde von seiner verzweifelten Mutter genötigt, mutig zu sein. In diesem Moment fragte ich mich, ob meine Erziehungsfehler manchmal auch so offenkundig werden, ohne, dass ich es merke. Gerade heute, am bundesweiten Tankstellenrosen- und Herzchenerdbeerkuchentag frage ich mich: Was ist eine gute Mutter?


Ich schreibe diesen Blogpost mit zwei Grundannahmen:

1) Es geht um Mütter. Punkt. Mit dem politisch aufgeladenen Gebärenden-Sprach-Kram halte ich mich nicht auf. Natürlich können sich alle Elternteile angesprochen fühlen, be my guest.

2) Ich setze eine gewaltfreie Erziehung voraus: Gewalt und gute Erziehung schließen sich gegenseitig aus. Immer. Gute Erziehung genießt man nicht? Seh ich anders.

3) Ich denke heute an all die Menschen, die keine Mutter mehr haben (moi) sowie an alle Menschen, die ein Kind verloren haben. Mein volles Mitgefühl auch an all diejenigen, die ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter haben. Was auch immer dahintersteckt: Es ist sauschwer, Frieden damit zu machen und ein glücklicher Mensch zu werden. Unmöglich ist es nicht.


Gut, hätten wir das schon mal geklärt. Der Mutti-Tag ist für viele ja ein Zweifrontenkrieg: Einerseits das Verhältnis zur eigenen Mama, andererseits zu den eigenen Kindern. Ob wir wollen oder nicht, am zweiten Maisonntag können wir das Thema nicht ignorieren. Warum also nicht gleich darüber schreiben?


Ich hatte eine fantastische Mutter und habe zwei wunderbare Kinder. Und, so wie alle Teenie-Eltern, sehe ich mich irgendwann mit ausgesprochenen oder unausgesprochenen Fragen konfrontiert, ob ich genug aus meinem Leben gemacht habe. Hey, dabei, reden wir doch über das, was SIE aus ihrem Leben machen können. Während wir ihre Zukunft zimmern, hauen sie uns unsere Gegenwart um die Ohren.


Viele in meinem Alter bekommen jetzt vom eigenen Nachwuchs gnadenlos den Stempel NPC aufgedrückt. Wir sind alle NPCs, Non-Player-Character - das sind die Statisten aus Computerspielen, die für den Spielverlauf nicht so richtig wichtig sind.

Die Seite Basic-Tutorials schreibt: Sie werden in der Regel eingesetzt, um mit den Spielern zu interagieren, Informationen zu liefern und die Handlung voranzutreiben. ...NPCs können als Verbündete eingesetzt werden, die bei der Erledigung von Aufgaben helfen, als Feinde, die die Fähigkeiten des Spielers herausfordern, oder als passive Zuschauer, die einfach mehr Leben und Realismus in die Spielwelt bringen.

Ich liebe diese Beschreibung. Sie umreißt alles, was das Leben als Teenie-Mutter ausmacht. Fehlt nur noch, dass die NPCs über scheinbar unbegrenzte 20-Euro-Schein-Reserven verfügen und vier Mahlzeiten am Tag servieren.


Ist Dein Kind aus der 134-176-Abteilung bei H&M rausgewachsen, stehst Du als Mutter mit dem Rücken zur Argumenten-Wand: Warum bist Du nicht Heidi Klum? Warum leben wir nicht in Kalifornien? Warum ist nicht jede Woche ein neues Paar Sneaker drin? Das sind noch die harmlosen Fragen. Kinder von Hausfrauen fragen, was Mama eigentlich von 8 bis 15 Uhr treibt, Kinder von Working Moms duschen ihre Mütter mit Vorwürfen über Abwesenheiten, Kinder von Erfolgsfrauen sind sauer, weil sie nie Ehrgeiz und Biss entwickeln konnten. Irgendwas ist immer.


Auch ich habe meine Eltern als Teenie einer gnadenlosen Review unterzogen: Warum waren sie nicht erfolgreicher? Warum reisen sie nicht mehr, gehen öfter ins Theater? Reicht denen das echt so? Diese Vorwürfe sind zu 98 Prozent unfair, weil ohne Lebenserfahrung und ausreichende Kenntnis der Sachlage gesprochen. Zu zwei Prozent aber liegen Kinder richtig, wenn sie ihren Eltern so frech kommen. Denn jeder von uns hat ein paar richtig miese Lebensentscheidungen getroffen und merkt jetzt, dass er die vorm klugen Nachwuchs nicht mehr kaschieren kann. Da hilft nur Offenheit: Yep. Hier und da habe ich amtlichen Mist gebaut. Isso. Und jetzt räum bitte den Tisch ab.


Meine Eltern haben mich auf Augenhöhe erzogen - und sie brauchten nicht mal Ratgeberbücher dänischer Autoren dazu. Gegenseitiger Respekt, gerade so viele Grenzen wie nötig und ein fester Glaube an die Kraft des Gespräches - das alles bleibt. Und, obwohl sie diese wirren Jahre der Weltgeschichte nicht mehr miterleben, haben sie mir eine Klarheit in der Erziehung dagelassen, die ich weitergeben kann.


Für mich ist Muttersein natürlich grenzenlose, bedingungslose Liebe. Aber es ist auch ein Job, den man gut und kompetent machen muss. Du solltest als Elternteil zu jeder Tages-und Nachtzeit wissen, wo Dein Kind gerade emotional steht. Dass Du auch die Schuh-, und Körpergröße und den Lieblingslehrer kennst, versteht sich von selbst. Halte ich hier ein unrealistisches Ideal hoch? Ich denke nicht. Diesen Anspruch haben wir alle. Wir alle machen aber auch täglich Fehler, die wir am besten offen zugeben und schnell wieder ausbügeln.


Jetzt, wo meine Kinder schon bald raus in die Welt gehen und nicht mehr minütlich Gefahr laufen, von der Schaukel zu fallen oder Abflussreiniger zu naschen, kommt noch eine ganz neue Challenge dazu: Die Mischung aus Nähe und Loslassen hinzukriegen. Meist gelingt mir das gut. Ob ich irgendwann auch weinend vor Fußballschuhen stehe, während mein Sohn um die Welt reist oder zusammenbreche, wenn meine Tochter ihr Strandhaus in L.A. bezieht? Zu 100 Prozent JA. Bis dahin freue ich mich, wenn ich als Non-Player-Character die Handlung als Verbündete ein bisschen vorantreiben kann.


Ich halte Euch auf dem Laufenden.

Eure NPC-Mom



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