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AutorenbildAnna Gelbert

Tip-Top-Tatü-Tata-TV: Meine 20 Jahre Privatfernsehen


Es ist jetzt genau einen Millennial her, dass ich beim Fernsehen anheuerte. Keine Fake-News: Ich feiere unfassbare zwei Jahrzehnte Boulevard-TV.

Es begab sich im Jahr 1998: Ich war Studentin der Anglistik, Romanistik und Politologie, wollte aber weder mit MüMü-Macho-Hemingway noch mit Balzac oder dem Vermittlungsausschuss je wieder zu tun haben. Stattdessen feierte ich das Studenten-Dasein, hatte mein erstes Handy, eine ziemlich freudlose Affäre mit meinem Professor und suchte in immer neuen Praktika den Sinn meines anstehenden Berufslebens: Journalismus, soviel war klar. Aber: Welcher Job würde mir Spaß bringen, Geld und Reisen (für alle Sneaker-Träger: Fun, Cash, Travel)? Hinzu kam mein immer schon ungeduldiges Temperament: Die Öffentlich-Rechtlichen kamen aufgrund ihrer Hunde-Zeitrechnung nicht in Frage. Als ich mein Volontariat schon abgeschlossen hatte, kam die Zusage eines Funkhauses (!), ich sei eine Auswahl-Runde weiter. Recall in der Rente. Überhaupt die Themen: Ödes, Kompliziertes und Lokales schienen die einzigen Ressorts in dieser Redaktionswelt zu sein.

Alles nein.

Außerdem wollte ich nicht in der Bundespressekonferenz vor mich hin schimmeln oder Kracher-News aus dem US-Senat vermelden.

Ich wollte dahin, wo das echte Leben ist.

Die Offenbarung hatte ich, als ich während eines Praktikums bei den Privaten Tempo, Ton und Sexiness dieses aufstrebenden Hipstertums inhalierte. Hier waren alle jung, heiß auf Erfahrungen und ertrüffelten sich täglich gute Stories. Überflüssig zu erwähnen, dass auch jeder etwas mit jedem hatte - wo sonst sollte man beim Dauereinsatz für die Sache auch jemanden kennenlernen? Welcher Arzt oder Architekt könnte dieses Feuer überhaupt verstehen?

Ich war damals mit einem Juristen liiert und merkte, wie unsere Lebens-Schere immer weiter auseinanderklaffte. Während ich abends - wenn ich überhaupt da war - bei seinen Geschichten über Urheberrecht in eine REM-Schlafphase fiel, träumte ich von den nächsten Drehs. Verrückte Menschen, irre Stories, Kopfschütteln 24/7. Die Beziehung zerbrach dann aus anderen Gründen. Aber: Meine nächsten Partner kamen allesamt aus der Branche. Man könnte sich wortlos verstehen - tut es aber nicht, denn nirgendwo arbeiten geschwätzigere Leute.

Eine ganz neue Spezies Mensch drängte ins Privatfernsehen: Quereinsteiger, Typen ohne Abitur, Freaks. Was heute die Immobilienmakler sind, waren damals Boulevard-Reporter. Verkrachte Existenzen, die hier eine zweite Chance bekamen – und nutzten. Sie alle hatten eins gemeinsam: Sie wollten mit Arschbombe ins Leben springen. Sie wollten es filtern, destillieren und dann mit einer Pointe wieder ausspucken. Sie dachten in Einstiegsbildern und Teasern. Sie hatten es immer eilig. Lalü-Lala zur nächsten Story. Wer ADHS bei Erwachsenen verstehen wollte, fand hier perfekte Studien-Objekte.

Ich brannte. Ich wollte. Genau. Hier. Hin.

Staunend saugte ich meine erste Redaktionskonferenz ein: Eine Modelagentur schien explodiert zu sein. Neben hemdsärmeligen Reportern alten Schlages saßen höhere Töchter, die über ihren Pashmina-Schals völlig ungerührt über Kindermorde referierten. Unser Chef, heute Politiker in einer dem Niedergang geweihten Partei, nahm begierig die Themenvorschläge entgegen. Motto: Krass, krasser, am krassesten. Stories über Katzen? Gern, wenn sie brennend vom Dach fallen. Heute gehen Miezen-Filmchen bei youtube durch die Decke, schon damals war der Quoten-Peak: Eine Whiskas-Werbung.

Die Sende-Zentralen glichen Flagship-Stores: Hochglanzgebäude, bestückt mit State-of-the-Art-Technik. Lächelnd blickte man hier auf die Kollegen der Öffis herunter, die sich siezten und mit Hausschuhen über braune Flure schlurften. TV-Zombies, allesamt.

Bei uns herrschte ein anderer Geist: Competition um die besten Geschichten, das schnellste Reaktionsvermögen, die härtesten Ellenbogen, das größte Telefonverzeichnis (damals noch an einem runden Rolodex-Gestänge). Die einzigen Info-Quellen: Die Morgenzeitungen (aus Papier), kilo-schwere Nachschlagewerke (heute Altpapier), ein gutes Gedächtnis und ein noch besseres Netzwerk. Jeder hatte ein paar zwielichtige Kontakte und immer einen Kollegen bei der BILD, den er völlig erfolglos anzapfte. Unsere Devise: Nicht lang schnacken, Tasche packen: Ob Lawinen oder Erdbeben, wir waren da. Ob Royal Wedding oder Fremd-Geh-Promis, wir waren da. Wir filmten ungewaschene Geistheilerinnen, psychotische Jesus-Darsteller und zugedröhnte Stars. Die Party war immer da, wo wir waren.

Wir waren RocknRoll: Während jüngere Kollegen heute Angst haben, Fehler zu machen, verbrachten wir nicht wenige Drehs sturzbetrunken und wandten die eine oder andere fragwürdige Technik an, um an Infos zu kommen. Arbeitszeiten waren uns egal. Das Wort Work-Life-Balance kannten wir nur von Kollegen, die nach dem Malkurs in der Burn-Out-Klinik damit ankamen. Wir knüppelten mit null Schlaf und nach einem Langstreckenflug Beiträge zusammen und schliefen auf dem Rücksitz des Teamwagens. Es war eine knallbunte Wundertüte, Du wusstest morgens nie, was kommt.

War damals alles besser? Nicht doch. Die Generation heute hat es eigentlich gut: Noch nie war Recherchieren so leicht, wirkte jedes Ziel so nah. Während ich daheim ein analoges Album mit Fotos von mir und diversen Promis liegen habe, verfolge ich die oft gelungenen Insta-Stories meiner Reporter-Kollegen. Jeder ist sein eigener Channel, alles wird leichter - und das ist gut so. Was ich den Jungen wünsche: Ihr habt den schönsten Job der Welt (#lovemyjob)! Habt auch ein bisschen mehr Mut zum Andersdenken und Anderssein: Zu Euren hübschen Gesichtern könntet Ihr gern noch öfter eine Haltung tragen - von mir aus mit Hashtag.

Allerdings vermute ich, werden wir als Die Generation Privatfernsehen in die Geschichte – und die Pinakothek der Moderne – eingehen und direkt neben den Kassettenrekordern und den Drehscheiben-Telefonen stehen. „Guck mal“, werden Menschen eines Tages sagen, wenn sie staunend in die Vitrinen mit blauen Sendebändern gaffen, „das waren die zwischen ARD und Netflix“.

Ich behaupte, wir haben den Boden für die Generation youtube bereitet: Laut, bunt, relevant, rührend. Das ist Boulevard. Die Welt da draußen ist voller Geschichten. Also warum, verdammt, erzählen wir sie nicht einfach? Wir glauben an gute Sprache und gute Bilder. Wir sind immer noch eine große, manchmal dysfunktionale, glamouröse Familie.

Es gibt einen großen Song von den Pet Shop Boys (aus dem Jahr 1990): „We were never being boring“. Das waren wir. Alles außer langweilig.

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